Kritische Fragen an Harry : Das Ersatzrad läuft heiß
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Harry im ITV-Interview mit Tom Bradby (rechts) Bild: AP
Prinz Harry erzählt seine Version der Familiengeschichte der Windsors auch beim britischen Sender ITV. Sein Gegenüber, der Journalist Tom Bradby, stellt ihm kritische Fragen. Das gefällt dem Prinzen gar nicht.
Die Sonne scheint unter dem halbgesenkten Raffvorhang durch die Sprossenfenster und wirft lange Schatten in den Raum, wie an einem englischen Sommernachmittag auf dem Land. Mit den edlen blassgelb bedruckten Gardinen, den aufgebauschten Kissen auf der Fensterbank, dem Holztisch und dem Perserteppich wirkt der Platz, an dem sich Prinz Harry in seiner kalifornischen Villa den Fragen des ITV-Moderators Tom Bradby stellt, wie ein kleines Stück von des „geliebten Mutterlands“, wie er es nennt.
Die Frage, die zum „Megxit“ führte
Aus diesem, behauptet Prinz Harry, habe er aus Angst um sein Leben fliehen müssen, vor der mit dem Königshaus verbandelten Presse, die ihn niedergemacht habe. Bradby ist der Journalist, der das vermeintliche Unglück der Sussexes als erster offenbarte, als er das Paar 2019 nach Südafrika begleitete. Seine Frage an Meghan, ob bei ihr alles in Ordnung sei, war wie ein Stich ins Wespennest. Sie brachte den Prozess ins Rollen, der zum „Megxit“ führte und Harry veranlasste, auszupacken.
Nun sitzt Bradby dem Prinzen in seinem neuen Eden gegenüber und hört sich ungläubig an, wie dieser ihm in Verkennung der britischen Reaktionen erzählt, dass es wahrscheinlich viele Zuschauer der Netfix-Dokumentarserie und Leser seines heute erscheinenden Buches, „Spare“ („Reserve“) gebe, die sich fragten, wie er seiner Familie jemals verzeihen könne für das, was sie ihm angetan habe. Prinz Harry beteuert, er halte Vergebung zu hundert Prozent für möglich, obwohl er zu einem anderen Zeitpunkt meint, es passe der Familie, ihn und seine als Schauspielerin und gemischtrassige Amerikanerin stereotypisierte Frau als die Bösewichte abzustempeln, statt sich mit ihnen zu versöhnen.
Das Allertraurigste an dem Zerwürfnis sei, dass es nie so hätte kommen müssen, bedauert Harry und schaut Brady mit jener Mischung aus herausforderndem Trotz und Selbstmitleid an, die den ganzen Austausch kennzeichnet. In seiner durchtherapierten Verblendung versucht der Prinz sich durchweg als der Reifere und Versöhnliche zu stilisieren, dessen Versuche, reinen Tisch zu machen, wiederholt von der Familie abgeschmettert worden seien: „Ich habe Gespräche geführt, Briefe und E-Mails geschrieben und alles ist bloß: Nein, das kann nicht sein. Du bildest es dir ein. Und das ist sehr schwer zu ertragen.“ Jedes Mal, wenn er versucht habe, auf privatem Wege eine Lösung zu finden, seien Geschichten über ihn und seine Frau der Presse zugespielt worden.
Die Brücken mit dem Flammenwerfer abgefackelt
Harry stellt das Familienmotto, nichts zu erklären und sich niemals zu beschweren, als leere Floskel dar und meint zur Rechtfertigung seines Buchs, die absichtlich verzerrten Geschichten, die von Mitgliedern seiner Familie gegen das Paar lanciert worden seien, Millionen von Wörter erzeugt hätten. Als Bradby ihm nahelegt, dass er mit seinen intimen Offenbarungen über die Familie alle Brücken hinter sich nicht nur verbrannt, sondern mit einem Flammenwerfer abgefackelt habe, feuert Harry zurück, er wisse nicht, wie Ehrlichkeit dem Verbrennen von Brücken entspreche könne. Schweigen erlaube dem Missbraucher bloß, den Missbrauch weiter zu betreiben. „Deswegen weiß ich nicht, wie Schweigen die Sache jemals besser machen kann.“ Davon sei er aufrichtig überzeugt.