Böhmermanns „Be Deutsch“-Video : Warum Warschau sich vom deutschen Radfahrer bedroht fühlt
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Für einen Moment in unangenehmer Umgebung: die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydło Bild: dpa
Andere Länder, andere Empfindlichkeiten: In Polen sorgt Böhmermanns „Be Deutsch“-Video für eine mediale Aufgeregtheit, die viel über die Innenpolitik der PiS-Regierung verrät. Ein Gastbeitrag.
Ironie ist keine soziologische Kernkompetenz. Mit todernster Miene erklärt der den Zuschauern als Soziologe vorgestellte Zdzisław Krasnodębski in den Hauptnachrichten des öffentlichen polnischen Fernsehens TVP, worin die Niederträchtigkeit von Jan Böhmermanns satirischem Videoclip „Be Deutsch (Achtung! Germans on the rise)“ liegt: Die Politiker, deren Porträts darin gezeigt werden, repräsentierten, wofür die Deutschen früher standen: „Faschismus, Hitlerismus, Xenophobie, Populismus, Nationalismus, Nazismus.“ Die heutigen Deutschen, die ihnen entgegengesetzt werden, würden als liberal, weltoffen und mitfühlend präsentiert, als hätten sie mit der Nazivergangenheit nichts mehr zu tun, erklärt Krasnodębski. Er hat seit mehr als zwanzig Jahren eine Professur an der Universität Bremen inne, vertritt aber seit 2014 auch die polnische Regierungspartei PiS im Europaparlament.
Dass das Böhmermann-Video Thema im polnischen Pendant der „Tagesschau“ war, liegt daran, dass darin für etwas weniger als eine Sekunde das Bild von Beata Szydło, der polnischen Ministerpräsidentin, zusammen mit Bildern von Donald Trump, Geert Wilders, Viktor Orbán, Marine Le Pen und Frauke Petry zu sehen ist.
Kein Geständnis geheimer Anweisungen
Die Nachrichtenredaktion von TVP hat ebenfalls wenig Verständnis für Ironie. Der ganze Beitrag suggeriert, Szydło werde vom ZDF zum Nazi erklärt. Böhmermanns Clip, sagt der Redakteur Klaudiusz Pobudzin, sei der „aggressive Versuch, Politiker zu desavouieren, mit denen Berlin im Clinch liegt“. Der rechtskonservative Publizist Cezary Gmyz pflichtet bei: Angela Merkel und die Journalisten, die sie unterstützten, wollten eine Mauer der Ungleichheit zwischen den europäischen Gesellschaften errichten. Dass es sich um einen satirischen Beitrag handelt, wird nirgends erwähnt. Sogar Szydło selbst nahm auf Twitter Stellung zum angeblichen Vorwurf des ZDF, sie sei ein Nazi: „Ich bin in Oświęcim geboren. Die Familie meiner Mutter wurde von den Deutschen zwangsumgesiedelt. Mein Urgroßvater starb im KZ Auschwitz. Das ist meine Geschichte.“ Damit wollte sie wohl sagen, dass sie sich schon wegen ihrer Familiengeschichte nicht vorwerfen lassen müsse, ein Nazi zu sein.
Das hatten ihr allerdings weder das ZDF noch Böhmermann vorgeworfen. Letzterer dürfte nach seiner Provokation des türkischen Präsidenten Erdogan überrascht sein, mit welch geringem Aufwand er es zur Prime Time ins polnische Fernsehen geschafft hat. Immerhin zieht sein Video nicht nur die von Orbán geäußerte Angst vor dem „moralischen Imperialismus“ der Deutschen ins Lächerliche. Es karikiert ebenso die „true Germans“, die auf ihre Vergangenheitsbewältigungsweltmeisterschaft so stolz sind wie auf Mülltrennung und darauf, nicht stolz auf ihre Nation zu sein. Es darf auch bezweifelt werden, dass Böhmermann im Auftrag Angela Merkels beziehungsweise der Bundesregierung Polen verunglimpft.
Genau das aber - dass deutsche Journalisten auf Anweisung der deutschen Regierung schlecht über Polen berichteten - behauptete Reporter Pobudzin, der erst vor wenigen Wochen vom ultrakatholisch-nationalistischen Fernsehsender Trwam zu TVP gekommen war, einen Tag später in den Nachrichten. Dabei stützt er sich auf einen Bericht der Boulevardzeitung „Super Express“, der sich auf Behauptungen zweier PiS-Abgeordneter stützt, die davon erfahren haben wollen. Pobudzin interviewte dazu gar den Warschauer ZDF-Korrespondenten Armin Coerper. Doch trotz bemühter Suggestivfragen gelang es ihm nicht, Coerper das Geständnis zu entlocken, er handele nach geheimen Anweisungen der deutschen Regierung.
Die Umdeutung zum Nazi-Vorwurf ist kein Zufall
Die Berichterstattung über Böhmermanns Video zeigt, wie die PiS in kürzester Zeit die öffentlichen Medien in Regierungsmedien verwandelt hat. Sie zeigt aber auch, wie nötig es die polnische Regierung hat, sich als Opfer deutscher Angriffe zu inszenieren, um von eigenen Problemen abzulenken. Die Regierung steht unter Druck, weil sowohl Szydło als auch Jarosław Kaczyński ihre Unterstützung für ein völliges Abtreibungsverbot in Polen erklärt haben. Dagegen protestierten Tausende Polen im ganzen Land. Auch der Streit um das Verfassungsgericht ist nicht beigelegt. In dieser Angelegenheit traf sich der Präsident des Europarats, Thorbjørn Jagland, gerade mit der Premierministerin und dem Präsidenten Andrzej Duda. Da kommen Nachrichten über eine angebliche Beleidigung aus Deutschland gerade recht. Die Regierung kann zeigen, dass sie sich so etwas nicht bieten lässt. Erst recht nicht, wenn die Deutschen, wie in Böhmermanns Video, als radfahrende Vegetarier daherkommen. Diese hatte Außenminister Witold Waszczykowski schon früher als Bedrohung für Polens nationale Identität ausgemacht.