Gerüchteproduktion im Netz : Aktivistinnen rufen zum Ende der Hetzjagd gegen Appelbaum auf
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Netzaktivist Jacob Appelbaum bei einer Ausstellungseröffnung in Oldenburg vergangenen Oktober Bild: dpa
Nachdem eine Anschuldigung gegen den Aktivisten Jacob Appelbaum als Unwahrheit enttarnt wurde, mehren sich die Stimmen, die vom digitalen Kesseltreiben genug haben. Sie fordern „die Einhaltung moralischer Mindeststandards im Netz und bei den Medien.“
Neun Jahre nach einer komplexen Beziehung schreibt die Informatikerin Leigh Honeywell in ihr Blog die Worte „Believe Victims“. Davor steht eine Generalabrechnung mit dem ehemaligen TOR-Mitarbeiter Jacob Appelbaum, mit dem sie 2006 bis 2007 liiert gewesen ist. Die Vorwürfe umfassen Handlungen, die zumeist sehr unhöflich, aber sicher nicht strafbar wären: Bei einer Menage a Trois soll Appelbaum ein Wort missachtet haben, das ihn zum Aufhören aufforderte.
Dass sie von Appelbaum miserabel behandelt wurde, sei ihr erst später bewusst geworden, als sie sich mit ihm überworfen hatte: Im Fall des der sexuellen Nötigung verdächtigten Julian Assange gingen die Einschätzungen von Honeywell und Appelbaum auseinander.
Der Journalismus sollte überprüfen
Unter normalen Umständen wäre die von Belastungseifer geprägte Nacherzählung einer kaputten Beziehung der Anlass, vorsichtig zu sein. „Believe Victims“ ist das Credo des neuen Feminismus, zu deren bekannten Vertreterinnen Honeywell gehört. Aber es ist normalerweise nicht das Grundprinzip des Journalismus, der überprüfen sollte, ob da wirklich ein Opfer vorhanden ist. Leigh Honeywell schreibt es trotzdem, und es wird ihr geglaubt: Denn gegen Appelbaum kursieren auf einer Prangerseite anonyme Anschuldigungen.
Dass Honeywell nun bereit ist, schmutzige Details nach ihrer Sicht zu liefern, macht sie zum Objekt der Berichterstattung, von amerikanischen Skandalmedien bis zum Zündfunk des Bayerischen Rundfunks, wo einige Anschuldigungen über zart tröpfelnder Musik mit trauriger Telefonsexstimme nachgehaucht werden. Danach darf die bei Femgeeks.de anonym agierende Bloggerin „Natanji“ erklären, warum Prangerseiten voll in Ordnung sind.
Scharfe Gegenreaktion
Aber auch andere kennen Appelbaum schon etwas länger und haben ganz andere Erfahrungen gemacht: Unter ourresponce.org haben bekannte Vertreterinnen der Bürgerechtszene und des Kulturlebens einen offenen Brief veröffentlicht, der scharf mit den Medien und ihrem Umgang mit Gerüchten und nicht belegten Anschuldigungen ins Gericht geht: „It has become clear the mainstream media are unwilling to fact-check, and only too willing to persist in spreading uncorroborated and unfalsifiable rumor.“
Es ist in der Geschichte des Internetshitstorms nicht oft passiert, dass sich Frauen zusammentun, um Gerüchten entgegen zu treten: Im Fall Appelbaum wurde offensichtlich aber eine Grenze überschritten. Es gehe den Initiatorinnen nicht darum, die Erfahrungen anderer in Abrede zu stellen, sondern ihre eigene Einschätzung zu bekunden. In den Aktionen sehen sie einen Fall von abgesprochenem Rufmord, wörtlich „charakter assassination“. So könne weder die Wahrheit ermittelt noch Gerechtigkeit erreicht werden.