Neues Heft „Charlie Hebdo“ : Um wen weint Mohammed?
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Bild: Charlie Hebdo
Das Heft von „Charlie Hebdo“, das nach dem Massaker an der Redaktion erscheint, gibt ein Rätsel auf. Und provoziert noch in der Trauer. Eine Botschaft ist klar: Satire überlebt.
Der Titel von „Charlie Hebdo“ ist ein Rätsel. Mit dem Propheten, den uns der Zeichner Luz zeigt, nach dem Massaker, das zwei Islamisten in der Redaktion angerichtet haben, kann jeder gleich etwas anfangen. Es ist der Prophet Mohammed, den man nach islamischen Verständnis nicht zeigen darf, den man nach dem Verständnis der Satiriker von „Charlie Hebdo“ aber zeigen muss. Immer und immer wieder. Und nun steht er da und trägt ein Schild mit dem Spruch, den schon Millionen Menschen hochgehalten haben: „Je suis Charlie“ und hat eine Träne im Auge. Jetzt ist also auch der Prophet Mohammed „Charlie“. Will heißen: Er hat Humor, er lässt es sich gefallen, ge- und verzeichnet zu werden und – betrauert die Toten. Doch was bedeutet der Schriftzug darüber „Tout est pardonné“?
Vergibt der Prophet den Cartoonisten? Vergibt er allen, auch den Mördern? Oder vergeben die Überlebenden den Attentätern? Letzteres wäre ausgesprochen frivol. Vergebung ist den Hinterbliebenen der Opfer vorbehalten: der ermordeten Journalisten, der Polizisten und der Besucher des jüdischen Lebensmittelgeschäfts in der Rue des Rosiers, die von Tätern hingerichtet wurden, die in göttlichem Auftrag zu handeln glaubten. Also wen betrauert dieser Mohammed: die Ermordeten oder auch die Täter? Das Grün, in dem das Titelblatt von „Charlie Hebdo“ gehalten ist, ist die Farbe des Islam und der Hoffnung. Doch welche Hoffnung will der Zeichner Luz, von dem das Bild stammt, damit ausdrücken?
Es geht ihm allein um die Trauer, um unendliche Traurigkeit über eine unfassbare Tat. Er habe nur noch diese eine Idee gehabt, „Mohammed zu zeichnen mit ,Ich bin Charlie‘“, sagte er auf der Pressekonferenz, auf der die Ausgabe von „Charlie Hebdo“ vorgestellt wurde, die fünf Millionen Mal gedruckt werden soll und im Augenblick ihres Erscheinens fast überall schon ausverkauft war. Er habe, sagte Luz, diesen Mohammed angeschaut, „er war am Weinen. Und auch ich habe geweint. Das war der Titel.“
Missbrauch von Pressefreiheit
Dieser Mohammed von Luz ist – wie immer man die Oberzeile deutet – eine anrührende Figur. Und wüsste man nicht, dass das Glaubenskenntnis von „Charlie Hebdo“ darin besteht, jedwede Heilslehre ins Lächerliche zu ziehen, würde man sagen, dieser Prophet verbreitet eine christliche Botschaft, nämlich die der Nächstenliebe.
Eine Provokation werden säkulare Beobachter darin schwerlich erkennen. Diejenigen, die es endlich besser verstehen können sollten, sehen sie aber doch. Sie dringen zur Botschaft von „Charlie Hebdo“ nicht vor. Sie verkehren sie ins Gegenteil. Die Zeichnung werde „den Hass schüren“, erklärte die Al-Azhar-Universität in Kairo, die höchste Autorität des sunnitischen Islam. Es handele sich „um eine echte Provokation für die Gefühle der Muslime“. Die iranische Regierung verkündet dasselbe und spricht von einem Missbrauch der Pressefreiheit: Respekt vor religiösen Heiligkeiten sei ein weltweit anerkanntes Prinzip, das auch europäische Staatsmänner akzeptieren sollten, sagte die Sprecherin des iranischen Außenministeriums.
So bestätigt sich abermals, was die Morde in Paris in der vergangenen Woche bewiesen haben: Wo ein streng ausgelegter Islam regiert, gibt es keine Presse- und Meinungsfreiheit, sie endet nicht erst bei dem Verbot, Mohammed abzubilden. Sie endet, wo immer irgendjemand, der sich für eine Autorität hält, meint, die Religion werde beleidigt – worauf im Zweifel die Todesstrafe steht, die zu vollziehen sich Leute wie die Mörder von Paris ermächtigt sehen.
Folter bis zum Tode
Könnte es aber nicht sein, fragte ein Kommentator des „Telegraph“ nach dem Attentat, dass die Terroristen in Wahrheit gar nichts gegen die Satiren von „Charlie Hebdo“ haben und es ihnen nur darum geht, Muslime und Nicht-Muslime gegeneinander aufzuhetzen? Damit endlich der weltweite Bürgerkrieg der Religionen beginnt, von dem die Islamisten träumen?
In zweiter Ableitung mag dies der Plan sein. Dass Islamisten aber etwas gegen Karikaturen und die Pressefreiheit an sich haben, dafür bedarf es der Anschauung durch die Morde von Paris nicht. Das Meinungsverbot wird durchgesetzt, mit terroristischer Gewalt in freien Ländern, mit staatlich sanktionierter Unterdrückung in islamischen.