Neue Wallander-Folgen : Hier wird nicht lange gefackelt
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Szene aus der Folge „Hunde von Riga“: Kommissar Wallander (Kenneth Branagh) ist seinen Verfolgern entkommen und beäugt nun eine geheimnisvolle Schöne. Bild: ARD Degeto/Yellow Bird Rights/Le
Neue Filme aus der Firma Henning Mankell: Zum Jahreswechsel gibt Kenneth Branagh wieder den Kommissar Kurt Wallander. Trübsinn zum Wohlfühlen.
Geht eigentlich die Hälfte der Einnahmen dieser brummenden Firma namens Henning Mankell an die nationale Tourismusbehörde? Als Kompensation? Schließlich hat der Juristensohn aus Stockholm Schwedens Image komplett ruiniert. Land der glücklichen Elche? Wohlfahrtsparadies? Königreich der befreiten Libido? Von wegen! Land der ekelhaft zerhackten Leichen, Land der irrsinnigen Suizide und sinnlosen Folterungen. Hort der Verachtung. Jeder Anflug von Glück existiert hier nur, damit die nächste unfassbare Grausamkeit noch grausamer wüten kann, Liebende zerfetzt, Kinder verbrennt, Hoffnungen vernichtet. Aber viel schlimmer noch (und damit all die anderen Schweden-Krimis hinter sich lassend): Schweden als alles umgreifende, neonlichtkalte und hochansteckende Fundamentaldepression.
Wer bitte wollte nach der ganz Europa niedergewalzt habenden Wallander-Offensive dort noch Urlaub machen? Rufen nicht schon die Namen der Möbel eines ebenfalls weltweit operierenden schwedischen Pressplattenkonzerns inzwischen das Ystad-Syndrom in uns hervor, also pressplattentriste Schwermut in Tateinheit mit Verfolgungswahn? Jedenfalls nimmt es an Tiefenfrustration wohl kein anderer Held der Massenkultur mit der Spaßbremse Kurt Wallander auf, nicht einmal einer von Aki Kaurismäkis Kaputtniks aus dem Kaffee-und-Wodka-Ödland weiter östlich. Wallander taumelt von einer Lebenskrise in die nächste - Scheidung, Alkoholismus, Einsamkeit, Midlife Crisis, Verfettungsangst, Bruch mit der Tochter, Selbstzweifel -, wobei er permanent zu vermuten scheint (und auf einer Metaebene ja auch richtig damit liegt), sein tiefschwarzes Karma selbst könnte der Grund für den ihn überall umgebenden Schmutz sein: Niedertracht also nicht bloß Ursache seiner seelischen Verkrüppelung - „Man kann nicht tun, was ich tue, ohne so zu werden“ -, sondern er selbst als Überträger dieses Virus. Als Polizist, das muss man leider sagen, ist Wallander eine Flasche. Kein Alleingang ist ihm zu dumm, permanent bringt er sich und Kollegen in Gefahr und stolpert meist nur irgendwie zur Lösung der Fälle. Das liberalste Land der Welt könnte einen solchen Beamten nicht halten.
Ist das vielleicht alles der Ikea-Effekt?
So ist es auch in der dritten Staffel der englischen Wallander-Reihe mit Kenneth Branagh in der Hauptrolle, die in Südschweden gedreht wurde und uns nun den Jahreswechsel verdüstert. Die Drehbücher von Peter Harness schlagen einen Bogen über die drei Episoden, von denen nur „Hunde von Riga“ schon vom schwedischen Fernsehen verfilmt wurde (während die vorangegangenen sechs Branagh-Episoden allesamt schwedische Vorgänger hatten). Wallander, endlich weg vom Alkohol und gar offen für eine neue Beziehung, hat ein schönes Anwesen gekauft, das er in allen drei Folgen bewohnt. Es steht nicht nur frei und gruselig in der nebelverhangenen Landschaft, im eigenen Garten kommt auch gleich das Skelett eines Mädchens zum Vorschein. Als sich dann auch noch ein abgerissener Frauenarm an der Küste findet und Wallanders Lieblingskollegin schwerverletzt ins Koma fällt, woran den Kommissar eine Mitschuld trifft, ist der Griff zur Weinflasche programmiert. Und jetzt darf das Blut erst richtig fließen. Wie diese Ereignisse später erklärt werden, ist so hanebüchen, dass man drüber lachen würde, wäre es nicht so deprimierend - und so grandios in Szene gesetzt: alle Bilder stimmig bis in die grün-gelbliche Farbgebung hinein, die Musik perfekt eingesetzt, die Spannung ohne jede Unterbrechung. Zudem besitzt Branagh selbst als geprügelter Hund eine Präsenz, der man sich schwer entziehen kann. Darüber vergibt man, dass zahlreiche Details im Nachhinein widersinnig erscheinen und wohl nur des Effekts wegen da waren.
Einzig in der mittleren Folge, von Mankell schon 1992 geschrieben, kommt Schweden einigermaßen passabel weg, weil die eigentlichen Verbrechen diesmal im halb gesetzlosen Lettland der frühen Neunziger stattfinden, verübt von der osteuropäischen Drogenmafia. Ein Boot mit zwei brutal ermordeten Kartellmitgliedern wird angeschwemmt, und so kommt Wallander per Amtshilfe mit der lettischen Polizei in Kontakt, muss aber schnell merken, dass er dort niemandem trauen kann. Bevor es zur völlig unglaubwürdigen Lösung des Falles kommt, richtet der schwedische Gast in Riga noch manches Unheil an. Und wieder ist das fesselnd, weil die Schauspieler so sehr zu überzeugen vermögen und die Abgründe des Bösen lustvoll den Voyeur in uns wachkitzeln. In der dritten Folge, die - bildmäßig großartig - gleich mit einem Tierquäler beginnt, der brennende Schwäne über einen See fliegen lässt, geht es im Sturzflug zurück in Schwedens dunkle Psyche: Psychopathen und Fanatiker halten die Region um Ystad in Atem, Morde und Selbstmorde wetteifern miteinander. Die Freundin aus der ersten Episode hat den Kommissar trotz Paartherapie zwar längst wieder verlassen, dafür taucht nun seine Tochter auf, denn ihre ehemals beste Freundin ist tief in die Greuel verstrickt.
Vielleicht ist das alles wirklich der Ikea-Effekt: billig gemacht, aber sieht gut aus. Außerdem hat beinahe jeder schon zugegriffen, so sehr man es auch verleugnen und auf solide Qualität schwören mag. So mag sich auch erklären, dass der Schweden-Tourismus seit Mankells Defätismusbombardement wächst und wächst. Man wandert durch einsame Wälder, immer in der schaurigen Erwartung, umgerissen und mit konzentrierter Schwefelsäure abgefüllt oder mit Benzin übergossen und angezündet zu werden. Schweden, Abenteuerland.