Netzverwaltung Icann : Amerika verzichtet auf Kontrolle
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Bis 2015 wird die Icann noch von der amerikanischen Telekommunikationsbehörde NTIA im Handelsministerium beaufsichtigt - was danach mit ihr passiert, ist noch unklar Bild: AP/dpa
Die Vereinigten Staaten wollen die weltweite Verwaltung des Internets abgeben: Die Organisation Icann, die bisher dem Handelsministerium untersteht, soll sich selbst organisieren. Ein großzügiger Verzicht?
Ist es eine Beschwichtigung im NSA-Skandal oder ein Schritt, der seit langem anstand? Bleiben die Auswirkungen unmerklich, oder liefert es das Netz den Interessen finsterer Regime oder gieriger Konzerne aus? Die Vereinigten Staaten verzichteten auf die verbliebene Kontrolle über das Internet, meldete am vergangenen Freitag die „Washington Post“.
Die Telekommunikationsbehörde NTIA im Handelsministerium hatte angekündigt, mit dem auslaufenden Vertrag die Aufsicht über die Icann abzugeben, jene als Netzverwaltung apostrophierte Organisation, die den Nummern- und Namensraum des Internets organisiert und gerade die Vergabe und Einführung neuer Domain-Endungen wie „.berlin“, „.amazon“ oder „.shop“ verantwortet.
Das Internet soll sich selbst verwalten
Alle Nameserver, die Domain-Namen in IP-Adressen übersetzen, berufen sich auf weltweit dreizehn Root-Server, deren Betrieb von Icann koordiniert wird. Derzeit prüft die Organisation alle Änderungswünsche in den Datenbanken dieser Server, muss sie aber bislang an die NTIA weitergeben, die sie sinngemäß abstempelt und an den Betreiber des zentralen Root-Servers weiterleitet, der bislang ausschließlich im Auftrag der Behörde handeln darf.
Das soll sich jetzt ändern. Genau genommen soll es sich schon seit 1998 ändern, seit die Clinton-Regierung Icann gegründet hat: Das Internet soll sich im Zusammenspiel der unterschiedlichen Interessengruppen letztlich selbst verwalten. Die Regierung Bush hatte keinen Grund für die Selbständigkeit der Organisation gesehen. Dass es jetzt wieder darum geht, ist wohl den aufgedeckten NSA-Praktiken geschuldet: Sie diskreditieren nicht nur die Geheimdienste, sondern auch Behörden, denen man keine Kompetenzüberschreitung im Umgang mit Internetressourcen vorwerfen kann.
„Ein unehrliches politisches Spiel“
Im Dezember 2012 hatte der Versuch einiger Länder für Unruhe gesorgt, Teile der Netzverwaltung der ITU zu übertragen, der Fernmeldeunion unter dem Dach der Vereinten Nationen. Der Schritt, hieß es zu einer Zeit, in der die Überwachungspraxis der NSA noch unbekannt war und Amerika mit weißer Weste als Garant der Freiheit des Internets auftreten konnte, könne den Einfluss repressiver Regime auf das Netz stärken. Heute ist es der Republikaner Newt Gingrich, der die alten Ängste neu belebt: Wer sei denn diese globale Netz-Gemeinde, der Obama das Internet überlassen wolle? Man riskiere, fremde Diktaturen das Netz definieren zu lassen.
„Es ist ein unehrliches politisches Spiel“, sagt Wolfgang Kleinwächter dazu, Dozent für Communication Policy and Regulation an der Universität von Aarhus und Mitglied im Icann-Direktorium. Selbst wenn das amerikanische Handelsministerium anweisen sollte, die Top-Level-Domain eines anderen Landes zu löschen, erklärt Kleinwächter, würden nur die in Amerika befindlichen Root-Server dieser Weisung folgen, der Aufruf von Seiten mit dieser Endung wäre kaum merklich verzögert.
Kleinwächter beschreibt die Aufsichtsfunktion der Telekommunikationsbehörde über Icann als Großvater-Rolle. Die Frage ist, wer sie künftig übernimmt. Und ob die Verwaltung des Internets nicht groß genug geworden ist, auf sich selbst aufzupassen: Das Zusammenspiel der verschiedenen Organisationen, die den Betrieb sicherstellen, ist so ausgereift, ihre Balance so ausgeklügelt, dass es keines weiteren Kontrollorgans bedürfte.
Wie soll die Zukunft aussehen?
Wie sollte es auch aussehen? Im direkten Zugriff von Regierungen auf die grundlegende Netzverwaltung, wie sie auf der ITU-Konferenz im Dezember auf Bali versucht worden war und gescheitert ist? Immerhin will auch der britische Premierminister David Cameron zur Icann-Tagung Ende Juni in London ein Ministertreffen abhalten, um die Konferenz aufzuwerten.
Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich die Minister mit der Rolle als beratendes Gremium arrangieren, die ihren Abgesandten bei den Icann-Tagungen üblicherweise zukommt. Die Netzverwaltung jedenfalls kann auf diese Weise kaum verbessert, aber leicht behindert werden. Die Domain-Registrare sind längst innerhalb von Icann organisiert. Mit ihnen ein Kontrollgremium zu bilden wäre teuer, würde aber keine weitere Kompetenz einbeziehen.
Anderthalb Jahre bleiben Icann und den anderen Institutionen, ein Modell zu entwickeln, das den Anforderungen der Behörde entspricht: Die gemeinsame Verwaltung in der Vielfalt der Interessengruppen solle bestehen, die Sicherheit, Stabilität und Beweglichkeit des Domain-Name-Systems gewährleistet, die Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden und Partner berücksichtigt und die Offenheit des Internets gewahrt bleiben. Wenn nicht, kann die NTIA ihren Vertrag, der Ende September 2015 turnusgemäß ausläuft, auch einfach um zwei Jahre verlängern. Und notfalls noch einmal um zwei Jahre. Man könnte auch einfach alles lassen, wie es ist.