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Netflix-Doku über Kanye West : Ein Sohn mit Ambitionen

Der Rapper als junger Mann: Kanye West, bevor er die sozialen Netzwerke unsicher machte. Bild: AP

Die Dokumentation „Jeen-Yuhs“ zeigt, wie Kanye West begann: als Musiker, dem erstmal keiner zuhören wollte. Heute ist der Rapper ein überkandidelter Superstar.

          2 Min.

          Wie viele junge Rapper lassen sich wohl gerade rund um die Uhr von einem Kameramann begleiten, in der An­nahme, eines Tages weltberühmt zu werden? Dass aus dem Filmmaterial eine Do­kumentation wird, die die halbe Welt in­teressiert, ist unwahrscheinlich. Aber wenn die Rechnung aufgeht, ist das Material Gold wert, am besten so viel wie bei Kanye West. Die neue dreiteilige Netflix-Dokumentation „Jeen-Yuhs“ zeigt, wie der heute 44 Jahre alte West Anfang der Zweitausender Jahre von Chicago nach New York zog, um mehr zu werden als ein erfolgreicher Produzent, der Beats für andere Rapper baut. Dass er das Zeug dazu hatte – und zu noch viel mehr –, glaubte auch der Produzent Clarence „Coodie“ Simmons, der seinen Job als Komiker hinter sich ließ, um den Aufstieg von West in New York minutiös zu dokumentieren.

          Sebastian Eder
          Redakteur im Ressort „Gesellschaft & Stil“.

          Am vergangenen Mittwoch erschien die erste Folge, und schon jetzt haben ei­nige Szenen das Zeug für die Rap-Geschichte. Viral ging zum Beispiel ein Ausschnitt, in dem West mit seinem Kameramann ins Büro des Plattenlabels Roc-A-Fella platzt, um dort uninspirierten Marketingmenschen seinen späteren Superhit „All Falls Down“ vorzurappen – und dann enttäuscht wieder abzuziehen. Ein ehemaliger Roc-A-Fella-Mitarbeiter ordnete die Szene auf Twitter ein: West habe das Lied im Büro zehnmal abgespielt und dabei die ganze Zeit filmen lassen: „Wie oft kann man begeistert auf etwas reagieren, das man zehnmal gehört hat? Es war an diesem Punkt einfach nervig.“ Vor der Allgegenwart von Smartphones sei doch keiner daran gewöhnt gewesen, ständig von einer Kamera verfolgt zu werden. Kanye West war seiner Zeit also auch in dieser Hinsicht voraus. Die Dokumentation begleitet ihn beim Kauf eines Pornoheftes und, bei anderer Gelegenheit, bis in der Wohnung seiner Mutter.

          Zu sehen ist also ein junger Mann, den man nur mit einer Frage oder mit einem Beat anstupsen muss, dann sprudeln die Ge­danken, Worte und Rapzeilen aus ihm he­raus. Als West 2002 mit der Rap­legende Mos Def das Lied „Two Words“ ganz ohne Beat für seine Kamera rappt, sitzt Mos Def am Ende mit offenem Mund neben ihm, so viel Energie und Ambition schwangen da mit.

          Wests mittlerweile verstorbene Mutter Donda West spürte diese Energie auch: „Du spielst Lieder, wie Michael Jordan Freiwürfe wirft“, sagt sie, als er sie noch vor seinem großen Erfolg in ihrer kleinen Wohnung besucht. Nach seiner Mutter ist sein zehntes Album benannt. Für diesen Monat ist die Fortsetzung, „Donda 2“, angekündigt. In „Jeen-Yuhs“ spricht Wests Mutter mit ihrem Sohn auch darüber, dass er manchmal „ein bisschen arrogant“ rüberkomme. Sie finde das nicht schlimm, sagt sie, er sei eben ein Star, da gehöre ein riesiges Selbstvertrauen dazu. Er solle nur aufpassen, mit den Füßen auf dem Boden zu bleiben, selbst wenn er ge­rade hoch in der Luft schwebe.

          Dass West mittlerweile die Bodenhaftung verloren hat, ist unübersehbar und hat auch mit seiner bipolaren Störung zu tun. Fans können seine Nervenzusammenbrüche in Echtzeit im Netz verfolgen. Seiner Frau Kim Kardashian macht er nach ihrer Trennung in diesen Wochen das Leben schwer. Seine Wutausbrüche richten sich oft gegen ihren neuen Partner Pete Davidson, dem West alles Mög­liche unterstellt. Im Hinblick auf das Bild, das die Dokumentation von ihm zeichnet, erscheinen solche Kapriolen umso grotesker: Der Milliardär West ist am Ziel all der Träume angekommen, die er vor zwanzig Jahren verfolgte – und wirkt doch so viel unglücklicher als in einer Zeit, in der Reichtum und Ruhm noch un­erreichbar schienen. Er wolle so erfolgreich werden, sagt West in „Jeen-Yuhs“, dass er irgendwann seinen Nachnamen ablegen könne. Auch so weit ist es ge­kommen. Heute ist er nur noch „Ye“, und ein beträchtlicher Teil der Weltbevölkerung weiß, wer gemeint ist: Der Mann, der ein globales Phänomen wurde, ein Ge­nie, das die Popkultur des 21. Jahrhunderts geprägt hat.

          Trotzdem würde man doch lieber mit dem Rapper tauschen, der damals mit seinen Jungs aus Chicago in New York Billard spielte. Vielleicht ist es also doch keine so bedauernswerte Vorstellung ­ – die der vielen jungen Rapper, die sich rund um die Uhr filmen lassen und auf die große Karriere warten. Im besten Fall haben sie dabei schon die Zeit ihres Lebens.

          Die nächste Folge von Jeen-Yuhs läuft seit Mittwoch bei Netflix.

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