Betriebsklima untersucht : Beim NDR geht es hart zur Sache
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Gab den „Klimabericht“ in Auftrag: der NDR-Intendant Joachim Knuth. Bild: NDR/Thomas Pritschet
Der NDR hat einen „Klimabericht“ vorgelegt. Es geht nicht um die Erderwärmung, sondern das interne Klima. Und das ist angespannt bis zum Zerreißen. Doch es bestehe Hoffnung, sagt der Verfasser des Berichts.
Der NDR hat einen „Klimabericht“ vorgelegt. In dem geht es nicht um die „Klimakatastrophe“, die die Menschheit bedroht, sondern um diejenige im Sender. Die ist, folgt man dem 99 Seiten umfassenden Papier des Theologen Stephan Reimers, den der NDR-Intendant Joachim Knuth im September 2022 zum Klimabeauftragten berufen hat, ziemlich ausgeprägt. Gleichwohl ist Reimers davon überzeugt, dass das Klima im Norddeutschen Rundfunk zu retten ist. Dafür empfiehlt er konkrete Maßnahmen.
Die Pressemitteilung, die der NDR dazu verbreitet, klingt harmlos. Der Bericht zeige, dass viele Mitarbeiter „mit Überzeugung und Leidenschaft“ hinter dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und „ihrem“ NDR stünden. Führungskräfte würden „ebenso kritisiert wie gelobt“. Es gebe Defizite, zu wenig Orientierung, zu wenig klare Entscheidungen. Strukturen und Arbeitsprozesse erschienen als „hinderlich“, insbesondere die „duale Struktur“ der Festangestellten und freien Mitarbeiter. Unklare Leistungserwartungen, zu hohe Arbeitsbelastung sowie der Wunsch nach einem „echten“ Dialog und lebendiger Konfliktkultur sind weitere Stichworte.
620 Gespräche mit 1055 Mitarbeitern
Das klingt nicht gut, aber so, wie man es wohl in vielen Betrieben erwarten dürfte. Die Einzelheiten, die Stephan Reimers und sein Team in 620 Gesprächen mit 1055 Mitarbeitern des NDR erfuhren, fallen schon krasser aus. Wie ist das mit der Senderführung? „Führungskraft“, heißt es da, sei man „auf dem Papier. Entscheidungen werden über uns getroffen. Wir sind die Erfüllungsgehilfen. Wenn es nicht klappt, sind wir schuld.“ Die „Führungsschicht“, lesen wir, „ist abgekoppelt und lebt in ihrer eigenen Welt“. Wie wird man Chef im NDR? „Man muss ins System passen, braucht Vitamin B und muss seine nächsthöhere Führungskraft kennen.“
Und wie ist der Umgang mit den Mitarbeitern? Ganz unterschiedlich, besonders hart, so der Eindruck bei der Klimalektüre, ist er in den journalistischen und kreativen Bereichen. In der Nachrichtenredaktion von „ARD aktuell“ heißt es über die Chefs: „Null Kommunikation, von beiden Seiten überhaupt kein Vertrauen mehr.“ In den Landesfunkhäusern ist es oft nicht anders. Ein regelrechter Aufstand der Mitarbeiter in den Landesfunkhäusern von Hamburg und Kiel gegen die dortige Führung hat bekanntlich zu personellen Konsequenzen und erst zu der jetzigen Klimauntersuchung geführt. Die nimmt nun leider ausgerechnet diese beiden Funkhäuser aus, weil – „in beiden Häusern nach den Konflikt- und Krisenfällen vom Herbst 2022 bereits umfangreiche Analyse und Aufarbeitungsprozesse durchgeführt wurden“. Hierzu lägen „diverse Berichte“ vor, die man einbezogen habe.
„Das ist systematisches Mobbing“
Folgt man den 99 Seiten, hätte es im Landesfunkhaus Mecklenburg-Vorpommern auch zum Aufstand kommen können. Dort zeigt sich offenbar das Gefälle zwischen festen Mitarbeitern und Freien besonders. Hier fühlten sich, so lautet ein Zitat, „viele Festangestellte als etwas Besseres. Über Freie wird ohne Respekt und Wertschätzung gesprochen. Das ist systematisches Mobbing“. Was man journalistisch anbiete, sei „hanebüchen, aus dem vorigen Jahrhundert. Der Kaiser ist nackt. Wir müssen dringend klären, was wir wollen, wohin wir wollen“. Nicht besser ist die Stimmung im Landesfunkhaus Niedersachsen: Der Ton sei rau, viele hätten resigniert, leisteten „ihren Dienst ab, reißen sich aber kein Bein mehr aus, geben kein Kontra“, „Null-Bock-Stimmung“ und nur „Top-Down-Kommunikation“. „Inseln der Zufriedenheit“ gibt es beim NDR aber auch: die Studios in Göttingen, Osnabrück und Schwerin; die Redaktionen von ZAPP, Service lab, STRG_F, Extra3, N-JOY und NDR Info.
Im NDR, so der Klimabericht, gebe es viel Kommunikation, aber wenig Verständigung: Chefs hören nicht zu, bügeln Kritik ab, reden schön, veranstalten Tribunale. Ein Mitarbeiter sagt generalisierend, er – oder sie (die Zitatgeber bleiben anonym) – unterteile in Arbeitsklima, Betriebsklima und Meinungsklima. Das Arbeitsklima im NDR sei gut, das Betriebsklima sei „mittelmäßig bis schlecht“. Das Meinungsklima sei „lange Zeit unser Ruhekissen“ gewesen: „Wir waren jahrelang so beliebt wie Polizei oder Feuerwehr.“ Jetzt sei „die Reputation durch Skandale erschüttert“. Die Öffentlichkeit sei „kritischer mit uns, wegen Gehältern, Positionen, Ruhegeldern“. Das ist eine gute Beschreibung. So harte – veröffentlichte – Kritik lässt sich nicht jedes Unternehmen gefallen. Und nun? Kommt es darauf an, was der NDR daraus macht. Auf einen Nenner gebracht, lautet das Fazit: Macht alles anders! Da ist gute Führung gefragt.