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Krampf um Groko : Koalieren als Beruf

Dauerhaft im Wahlkampfmodus? SPD-Chef Martin Schulz in Berlin Bild: AFP

Missachtung und Misstrauen: Unter den Bürgern genießen Politiker kein hohes Ansehen mehr. Selbst Versicherungsvertreter und Banker schneiden mittlerweile besser ab. Warum ist das so?

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          Politik und Politiker stehen nicht in hohem Ansehen. Vielen sind sie gleichgültig, viele führen ein Leben diesseits des politischen Interesses. Die Wahlbeteiligungen sind rückläufig, auf kommunaler Ebene geradezu beschämend. Selbst bei personalisierten Wahlgängen wie solchen zum Oberbürgermeisteramt von Großstädten liegen die Zahlen manchmal unter dreißig Prozent (Mannheim) und selten nur bei mehr als fünfzig Prozent (Chemnitz, Tübingen). Der Bürger verhält sich modern: Man kocht nicht, man lässt kochen und schaut sich Kochsendungen an. Für die Politik gibt es Talk-Shows.

          Jürgen Kaube
          Herausgeber.

          Andere gehen in ihrer Geringschätzung von Politik noch weiter. In den Fernseh-Barometern sind die beliebtesten Politiker nicht selten die, denen aktuell gar keine Entscheidungen zugeordnet werden können; derzeit Wolfgang Schäuble und Sigmar Gabriel und gern auch der jeweilige Bundespräsident. Den übrigen begegnet vielfach offene Missachtung, mindestens Misstrauen. Selbst Versicherungsvertreter schneiden in Umfragen besser ab. Der Zorn auf Eliten scheint an den Berufspolitikern stärker hängenzubleiben als an Auto- oder Bankvorständen.

          So sind Kompromisse eben

          Wie kommt das? Wodurch machen sich Leute, die einem aufreibenden Beruf zu, im Vergleich mit anderen Spitzenkräften in Siebzig-Stunden-Wochen, überschaubaren Bezügen nachgehen und dabei viel mehr als andere der Öffentlichkeit ausgesetzt sind, so unbeliebt? Im Blick auf die andauernden Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD sowie die vorhergehenden Sondierungsgespräche drängt sich ein Eigenbeitrag der Politik zu ihrem schlechten Image auf: Nicht nur die Länge des Verhandelns macht keinen guten Eindruck. Auch seine Darstellung weckt Zweifel an der politischen Professionalität. Die SPD etwa findet, dass der Familiennachzug immer ein Menschenrecht ist, meldet dann aber „1000 plus“ als großen Erfolg. Der CSU wiederum leuchtet Familiennachzug bei temporärem Aufenthalt gar nicht ein, sie hält dann aber „1000“ trotzdem für eine sehr gute Zahl.

          Jetzt kann man einwenden: So sind Kompromisse eben. Stimmt, aber weshalb werden sie dann nicht als solche hingenommen? Kaum ist einer beschlossen, treten nämlich Leute vor die Kameras und melden Dissens zum Konsens an. Lobt jemand aus der SPD die SPD für ein Verhandlungsergebnis, kann mit Sicherheit jemand aus der Union nicht widerstehen zu sagen, dass die SPD überhaupt keinen Grund hat, sich zu loben, weil das Verhandlungsergebnis nämlich nur ein Selbstlob der CDU/CSU zulasse. Das finden sogar Leute aus der SPD, die ihre eigenen, soeben noch selbstgelobten Verhandlungsergebnisse als Niederlagen beschreiben. Die nächste Runde muss von der CDU/CSU dann konsequenterweise gleich damit eingeläutet werden, die Bäume wüchsen für die SPD jetzt nicht in den Himmel.

          Kein Unterschied zwischen Denken und Reden

          Zwischen Denken und Reden wird also gar nicht mehr unterschieden. Was gedacht oder gefühlt wird, muss, beim heiligen Donald, auch gesagt werden. Und zwar sofort, öffentlich und zu jedem Thema. Der Mangel an Selbstbeherrschung, die Unfähigkeit, abzuwarten, die fehlende Bereitschaft, sich zurückzuhalten, sind auffällig. Die Medien greifen diese Verhaltensschwächen begierig auf: Dissens im Konsens, die einen gegen die anderen und die anderen gegen sich selbst – besser geht es für sie ja gar nicht! Umfrageinstitute können dann zu jeder Wendung gleich noch eine demoskopische Messung vornehmen und sagen, wie viele im Volk Herrn Schulz als Minister möchten. Wäre es technisch möglich, müssten Wahlen und Parlamente eigentlich durch eine Dauervolksabstimmung über alles ersetzt werden. Bis es so weit ist, genießen es viele Medien vor allem, dass sich ständig Beliebtheitswerte und Zustimmungsprozente ändern. Hauptsache, Unruhe, man kann für sie ja jederzeit die Politiker verantwortlich machen.

          Ein Schlüssel zur Unbeliebtheit von Berufspolitik – im Unterschied zum Stammtisch- und Twittergerede – könnte insofern sein, dass sie aus dem Wahlkampfmodus gar nicht mehr herauskommt, aus dem Sprücheklopfen, aus dem Werten, dem Bedürfnis, vor Kameras Auftritte hinzulegen oder wenigstens auch noch etwas dazu gesagt zu haben. Erneut gefällt das den Medien, für die ja sowieso am besten immer Wahlkampf wäre, was wir mit unserem föderalen Wahlterminkalender ja auch seit jeher aufs schwachsinnigste hinbekommen haben. Eine Woche nach jeder Wahl können Herr Schönenborn und die Seinen dann schon fragen, was die Leute wählen würden, wenn am Wochenende Wahlen wären. Weil ja bald tatsächlich auch wieder Wahlen sind. Oder Mitgliederbefragungen oder Neuwahlen oder wenigstens Umfragen zu alldem.

          Es ist ein stabiler Befund der Wahlforschung, dass, je mehr Abstimmungen es gibt, desto weniger Leute hingehen. Politiker, die bei allem, was sie tun, sofort den Eindruck erwecken, es hätte besser anders entschieden werden sollen, tragen zusammen mit den Demoskopen und den Medien zu dem Gefühl bei, es wären tatsächlich ständig Wahlen. Folgerichtig nimmt das Interesse an ihnen und an Politik als solcher ab. Sie dient für viele nurmehr der Unterhaltung. Genauer gesagt: der schlechten Unterhaltung.

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