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TV-Kritik „Maybrit Illner“ : Mit dem Zweiten therapiert man besser

Wie ein Gewitter über Berlin: „Maybrit Illner“ über die Streitereien in der Ampelkoalition Bild: ZDF/Svea Pietschmann

Wer von FDP, SPD und Grünen musste denn nun Federn lassen im Koalitionsausschuss? Bei Maybrit Illner konnten die Probleme in der Ampel tiefenpsychologisch aufgearbeitet werden. Am Ende des Tages aber ist ja sowieso der Bürger schuld!

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          Es ist, als habe man den Klienten einer erfolgreichen Therapiesitzung bei der Manöverkritik zugeschaut. Wir sind jetzt einiger als je zuvor, wollen einander nicht mehr weh tun – das war die Mitteilung bei „Maybrit Illner“ nach der Einigung im Koalitionsausschuss neulich in Fragen der Klima- und Infrastrukturpolitik. Aber liegt bei dieser Einigung nicht noch etwas drunter, eine tiefenpsychologisch zu sondierende Abwehr gegen die Vorstellung, dass es doch Gewinner und Verlierer gegeben haben könnte in diesem Koalitionsausschuss? Und kann dieser in der Sache ja nur notdürftig verdrängte Konflikt nicht jederzeit wieder aufbrechen, um ihn immer wieder neu austragen zu müssen?

          Christian Geyer-Hindemith
          Redakteur im Feuilleton.

          Maybrit Illner formulierte diese Verdachtsdiagnose in ihrem Titel „Kompromiss statt Masterplan – Ampel-Streit wirklich beigelegt?“, und um die Frage „wirklich?“ tänzelten die Partei-Chefs Lars Klingbeil, Christian Lindner und Omid Nouripour, von Theo Koll und Eva Quadflieg journalistisch begleitet. Koll hatte sich für das adrett eingespurte Theorem entschieden, wonach die Politik auch nichts anderes als ein Abbild der Gesellschaft sei, insofern seien die koalitionären Konflikte bei der Ausschuss-Sitzung „in Schwangerschafts-Analogie“ ausgetragen worden, „ein bisschen länger eben“. Schräg von der Seitenlinie wie stets, die bestimmt vorgetragenen Analogien des Herrn Koll.

          Es ist alles gut, gut, gut. „Alle haben sich bewegt, alle waren konstruktiv“, so Klingbeil mit immer erst einmal heruntergedimmter, therapeutische Autorität verleihender Stimme, die wie aus einer märchenhaften Ferne kommend nun nah, ganz nah zu den Menschen spricht, ihre Wirrnisse beruhigend. „Wir haben Blockaden aufgelöst und am Ende des Tages Lösungen geliefert“, erzählte Nouripour, der etliche Male vom „Ende des Tages“ sprach im Sinne von „schlussendlich“ oder „unterm Strich“. In dieser Ballung von „am Ende des Tages“ erschien der Grünen-Chef wie eine eschatologische Figur. Auch seine schwermütige Physiognomie, in die er schweigend ein ums andere Mal hineinsackte (während er sprechend durchweg fidel wirkte), unterstrich diesen endzeitlichen Charakter des Auftritts (ihm sei nicht nach „Party“, aber man habe auch „nicht nichts“ gewonnen). Lindner fiel es von den drei Partei-Vorsitzenden naturgemäß am leichtesten, am Ende des Tages den Zufriedenen zu geben, die FDP hatte bei den Verhandlungen ja abgeräumt. Aber kein Funken Triumphalismus, bitte!

          Lindner über das Federn-Lassen der Grünen

          Stattdessen bediente Lindner am staatstragendsten das Narrativ „Alle drei Koalitionspartner können mit dem Ergebnis zufrieden sein.“ Dafür müsse seiner Ansicht nach ein anderes Narrativ bei der öffentlichen Aufarbeitung der Ausschuss-Verhandlungen entfernt werden: „Die Grünen haben keine Federn gelassen. Das ist ein Narrativ, das man zurückweisen muss“, meinte der FDP-Chef mit keck vorgezogenem Kinn.

          Maybrit Illner mit Lars Klingbeil, Theo Koll, Omid Nouripour und Christian Lindner (von links)
          Maybrit Illner mit Lars Klingbeil, Theo Koll, Omid Nouripour und Christian Lindner (von links) : Bild: ZDF/Svea Pietschmann

          Aber offenbar ist es nicht allen Federn so ergangen, selbst Linder meinte das formelhaft Schöngeredete auf dem Zeitstrahl dann wieder etwas abschwächen zu sollen. Kommt authentischer. Der Gewinn für die Menschen, das Land, das Volk sei erheblich, predigte er im Bann der Feder-Metapher, „auch wenn einzelne Parteien mal Federn lassen mussten bei ihren Maximalforderungen“. Das Federvieh ließ es sich in der Sendung gefallen, mal in die eine, mal in die andere Ecke bugsiert zu werden. Verantwortungsethisch sollte nun nicht noch mehr Gerupfte sein.

          Aber man sah, wie es in Lindner arbeitete. Und tatsächlich setzte er am Ende des Tages ein analytisches Statement auf, nach dem Motto: „Jetzt noch mal im Ernst, liebe Grüne“. Damit draußen im Lande nicht immer nur besinnungslos von sachferner Machtarithmetik gesprochen wird, legte Lindner nach einer kurzen Kunstpause – Achtung, Ansage! – gleichsam die inneren Gründe für seinen in den Verhandlungen gewonnenen Machtzuwachs dar: „Vieles von dem, was Grüne beim Klimaschutz für fortschrittlich halten, davon glaube ich, dass es technologisch nicht möglich ist oder dass es wirtschaftlich nicht tragfähig ist oder dass es sozial nicht verantwortbar ist.“

          Nicht Wissing, sondern die Bürger sind schuld!

          Dass ihm letzteres, die Sozialverträglichkeit, nicht nur ein pflichtschuldiges, sondern ein Herzensanliegen sei, illustrierte Linder mit einem einfühlsamen Rentner-Beispiel. (Zwischenauftritt von Theo Koll: „Ich glaube, es würde Sinn machen, auch auf uns als Bürger zu schauen.“ Illner sprach ihr lang gezogenes „Okaaay!“ wie stets, wenn sie Wohlfeiles als solches abnicken möchte). Lindners Rentner-Beispiel zum Stichwort Sozialverträglichkeit als Herzensanliegen ging dann so: Lebt in seinem Einfamilienhäuschen im Ruhestand zusammen mit einer Heizung von 1986, hat nun Angst, „dass der Staat kommt und sagt: ,Diese Heizung musst du ausbauen!‘“.

          Und da eine Wärmepumpe ja nur sinnvoll sei, „wenn du auch das Haus energetisch sanierst und dämmst“, ist besagter Rentner in seinen Untergangsphantasien „plötzlich mit 100.000 Euro oder, oder, oder unter Druck“. Lindner, mein Anwalt von Auto, Heizung oder, oder, oder sonstiger Privatheit sagt dazu: „Das müssen wir verhindern!“.

          Der FDP steht, wenn nicht alles täuscht, ein Revival bevor, das sich der FDP-Chef auch nicht durch Rufschädigung seines Parteifreundes Volker Wissing vermasseln lassen möchte. Lindner haute den Verkehrsminister auf ganzer Parteilinie raus: „Es ist ja nicht Wissing, der die Klimaziele im Verkehr nicht erreicht, es sind die Bürgerinnen und Bürger, die sie nicht erreichen.“ Die wollten nämlich mobil bleiben. Das wiederum sei ein Argument für FDP-Politik, nicht etwa die gewünschte Mobilität zu beschneiden, sondern in dieser Lage nicht auch noch auf drei klimaneutrale Kernkraftwerke zu verzichten.

          So viel Kontext war Maybrit Illner dann doch zu viel: keine Atomdiskussion jetzt bitte auch noch, so die Moderatorin, „denn das hatten wir schon“. Auch das Fernsehen ist am Ende des Tages an die Ablaufzeiten seiner Formate gebunden.

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