https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/maybrit-illner-in-der-tv-kritik-fachkraeftemangel-und-wachstum-18650307.html

TV-Kritik Maybrit Illner : Müssen die Alten wieder ran?

  • -Aktualisiert am

Diskussion über den Arbeitskräftemangel bei Maybrit Ilner Bild: ZDF/Jule Roehr

Wenn es nach der Talkrunde von Maybrit Illner geht, ja: Hier wird gelassen und unterhaltsam über Wohlstandssicherung diskutiert und gefragt, wie wichtig sie überhaupt ist.

          3 Min.

          Für das Luxusproblem gibt es ab sofort eine neue Definition: Das ist, „wenn Ältere oft zu früh in Rente gehen, die Jungen mehr Wert auf Freizeit legen und Zugewanderte an der deutschen Bürokratie verzweifeln“. In der Talkshow von Maybrit Illner am Donnerstagabend wurde anfangs so die Lage umschrieben, in der sich der deutsche Arbeitsmarkt befinde.

          Jan Wiele
          Redakteur im Feuilleton.

          Bis 2035 fehlten dem Markt sieben Millionen Arbeitskräfte, schon jetzt eine halbe Million Fachkräfte, die KfW-Bank sehe das Fundament für Wachstum bröckeln, oder, noch kürzer gesagt vom um griffige Formulierungen nie verlegenen Wirtschaftsminister Habeck in einem Einspieler: „Überall fehlt es!“

          Alles halb so wild?

          Angesichts dieser Krisendiagnose wirkte die Runde zum Thema „Arbeitskräfte dringend gesucht – wer sichert Wirtschaft und Wohlstand?“ aber recht gelassen, teils fast ausgelassen im Sinne einer Bereitschaft, einander zuzuhören und ausreden zu lassen, Streitpunkte allenfalls sehr sachte anzusprechen und hier mal eine Art Brainstorming zur Frage zu machen, wie dem Problem zu begegnen sei.

          Nachdem Andrea Nahles, ehemalige Arbeitsministerin und heute Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, zwar eingeräumt hatte, dass es das größte Problem der nächsten Dekade werde, dabei aber zuversichtlich lächelte, war einem schon fast wohlig warm zumute.

          Auch andere vermittelten teils den Eindruck, es sei vielleicht halb so wild. Er finde es nicht so schlimm, jetzt auch mal bis zu zwölf Wochen auf einen Handwerker warten zu müssen, sagte der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Dachdeckermeister Jörg Dittrich. Später räumte er immerhin ein, eine Viertagewoche für das Handwerk sei vielleicht nicht so gut, wenn ein Kunde eine kaputte Heizung habe. Dem Fachkräftemangel konnte er aber sogar einen positiven Aspekt abgewinnen: Wenn es weniger Kräfte gebe, steige auch der Wettbewerb und somit der Lohn für diese.

          Die Welt geht unter, und ich muss arbeiten?

          Bei so viel Gelassenheit und Anpassungswillen der anderen war es für Carsten Linnemann, den stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU, nicht schwer, selbst mit moderat vorgetragener Leistungs-Ideologie sofort recht verbissen zu wirken.

          Als dann auch noch eine Art Aussteigerin in die Runde kam, nämlich Sara Weber als ehemalige Redaktionsleiterin beim Karrierenetzwerk LinkedIn, die davon berichtete, wie viel wohler sie sich als der Mühle entronnene Freelancerin fühle und im Sinne von weniger Stress und mehr geistiger Gesundheit dafür plädierte, Arbeitspensen grundsätzlich neu zu denken, rief Linnemann aus: „Wenn wir alle weniger arbeiten, werden wir weniger Wohlstand haben!“

          Linnemann brachte dann auch den Begriff der „Vollkaskomentalität“ ins Spiel, die ebenfalls Wohlstand gefährde. Sara Weber, die ein Buch mit dem Titel „Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?“ veröffentlicht hat, erwiderte, sie glaube nicht, dass eine solche Mentalität herrsche.

          Die Wende zum Weniger

          Die Moderatorin Illner traute sich dann sogar zu fragen, ob „wir“ es überhaupt erstrebenswert finden sollten, zukünftig beim Wohlstand noch zu den Spitzenländern zu gehören.

          Das zu verneinen, traute sich dann aber doch niemand so recht. Elisabeth Niejahr, ehemalige Chefreporterin der „Wirtschaftswoche“ und heute Geschäftsführerin der gemeinnützigen Hertie-Stiftung, befand, dass Slogans wie der einer „Wende zum Weniger“ falsche Töne der Grünen seien. Derart herausgefordert, wagte deren Co-Vorsitzende Ricarda Lang den Spagat, dass gerade neue Arbeitsfelder wie der Klimaschutz den darin Beschäftigten Wohlstand sichern würden.

          Das graue Gold heben

          Weitestgehend einig war man sich darin, dass die Älteren eine Rolle beim Stopfen des demographischen Lochs auf dem Arbeitsmarkt spielen sollten. Illners zuspitzende Frage „Müssen die Alten wieder ran?“ schien jedenfalls, mit Abstrichen allenfalls in Bezug auf körperlich erschöpfende Berufe, keinen in der Runde wirklich zu schrecken. Elisabeth Niejahr sagte, das regle der Markt, auf dem Ältere nach zwischenzeitlicher Diskriminierung zunehmend wieder gefragt seien und schlug vor, sich bei den Amerikanern die Bereitschaft abzuschauen, immer wieder neu anfangen zu wollen. Carsten Linnemann plädierte gar dafür, den nach Erreichen des Rentenalters noch Weiterarbeitenden dies steuerfrei zu ermöglichen.

          Natürlich sollten es sinnstiftende und gutbezahlte Jobs sein, die helfen, das „graue Gold“ zu heben - auch darin war man sich einig. Da kommen doch goldene Zeiten! Zu der eigentlich noch geplanten Diskussion, wie sich Migration und zukünftiger Arbeitsmarkt verbinden, kam es dann gar nicht mehr. Maybrit Illner war so gelassen, sie einfach in eine kommende Sendung zu verschieben.

          Weitere Themen

          Topmeldungen

          Kölner Regelverstoß : Ein Verein am Pranger

          Laut FIFA hat der 1. FC Köln gegen Transferregeln verstoßen und darf vorerst keine neuen Spieler verpflichten. Der Klub spricht von einer „Farce“ – und bangt um seine Zukunft.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.