Schulmassaker in Tennessee : Was das Sturmgewehr AR-15 anrichten kann
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Trauer, von der Kamera begleitet: Jugendliche an einer Gedenkstätte für die Opfer des Massakers in der Covenant School in Nashville, Tennessee. Bild: AFP
Die „Washington Post“ zeigt drastisch, welche Wunden das Sturmgewehr AR-15 verursacht. Mit dieser Waffe sind Amokläufer unterwegs, so auch die Attentäterin in Tennessee. Warum visualisiert die „Post“ das jetzt auch noch?
Während sich die amerikanischen Medien in der schrecklich routinierten Berichterstattung über den jüngsten Amoklauf an einer amerikanischen Schule, diesmal mit sechs Toten in Nashville, Tennessee, ergehen, veröffentlicht die „Washington Post“ in ihrer Onlineausgabe mehrere erschütternde Grafiken über die Wirkung von Schnellfeuerwaffen.
Eine interaktive 3d-Darstellung zeigt, welche Verwüstung ein Geschoss aus einem halbautomatischen AR-15-Sturmgewehr in menschlichem Gewebe verursacht. Seit Langem diskutiert die Presse die Frage, ob Bilder von Opfern und ihren Wunden zu einem Bewusstseinswandel und einem Verbot zumindest automatischer Waffen führen könnten. Die „Washington Post“ geht einen Schritt in diese Richtung.
„Wie Munition aus einer AR-15 einen Körper zerfetzt“
Das Blatt zeigt die Schusswunden, die zwei Opfer von Amokläufen an Schulen erlitten: die des sechsjährigen Noah Pozner, der 2012 beim Schulmassaker von Sandy Hook von drei Kugeln getroffen wurde und starb, und die des 15-jährigen Peter Wong, der in der Marjorie Stoneman Douglas Highschool von Parkland 2018 Opfer eines Todesschützen wurde – mit dreizehn Schusswunden. „Dies zeigt, wie Munition aus einer AR-15 einen Körper zerfetzt“, steht über der Geschichte, die den Warnhinweis trägt: „Diese Bilder mögen manche Menschen verstören.“
Das dürfte sicher sein. Die „Post“ arbeitet zwar mit Figuren, die nur Schemen der Opfer sind, aber sie führt die Verletzungen der beiden ermordeten Kinder klar vor Augen. „Eine einzige Kugel landet mit einer Schockwelle, die intensiv genug ist, um einen Schädel bersten zu lassen, und lebenswichtige Organe vernichtet“, heißt es im Text. Ein Chirurg sagt, bei Operationen von Menschen, die von Hochgeschwindigkeitsgeschossen getroffen wurden, zerbrösele Körpergewebe in den Händen der Ärzte.
Die Chefredakteurin der „Post“, Sally Buzbee, erklärt, warum man diese Darstellung gewählt hat. „Die furchtbaren Wunden, welche die Geschosse von AR-15-Waffen im menschlichen Körper anrichten, werden selten detailliert erläutert“, schreibt sie. „Nachrichtenorganisationen vermeiden es normalerweise, anschauliche Details von Verbrechensschauplätzen zu zeigen oder Fotos zu veröffentlichen, weil diese Bilder als entmenschlichend, ausbeuterisch oder traumatisierend angesehen werden und den Hinterbliebenen der Opfer womöglich noch mehr Leiden aufbürden könnten.“ Deshalb sei das Wissen um die Zerstörungswirkung „nicht weit verbreitet“.
Reporter des Blattes holten bei den Familien der beiden Opfer die Erlaubnis ein, die Obduktionsergebnisse zu veröffentlichen. Die Familien hätten die Grafiken nicht vorab sehen wollen – die auch für Außenstehende schwer zu ertragen sind. Hier gehe es, schreibt die Zeitung, um „Verletzungen, die Sanitäter und medizinisches Personal zu sehen bekommen, aber selten, wenn überhaupt, die Öffentlichkeit oder Entscheidungsträger, die Waffengesetze machen“. Es sei im öffentlichen Interesse, die „zerstörerischen Kräfte der AR-15 zu demonstrieren“.
In elf Minuten sechzig Menschen getötet
Kühl beschreibt Sally Buzbee die Arbeit ihrer Reporter: Diese reichten mehr als ein Dutzend Anträge auf Zugang zu Informationen über die Opfer von Massenschießereien ein. Fast 100 Obduktionsberichte werteten sie aus, sie befragten zwei Chirurgen, zwei Ballistiker und einen Pathologen. Mitten in den Grafiken der Geschichte taucht dann ein Banner auf: „Sie haben etwas mehr als elf Minuten auf dieser Seite verbracht. Der Schütze von Las Vegas brauchte elf Minuten, um sechzig Menschen umzubringen und 869 andere bei einem Konzert in Las Vegas zu verletzen.“
In den Kommentaren zu der Geschichte fordern manche, noch deutlichere Bilder zu zeigen. Andere meinen resigniert, auch dies werde nicht helfen, den nächsten Amoklauf zu verhindern. „Jeder Senator und jeder Abgeordnete im Kongress sollte gehalten sein, diese Darstellungen der Verwüstung in den Körpern der Opfer zu sehen“, schreibt eine Leserin. „Vielleicht können wir dann diese Waffen verbieten.“