Maischbergers Weizsäcker-Porträt : Nicht in unserem Haus
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Für immer Präsident, für immer Dienstfahrt Bild: NDR/vincentTV
Sandra Maischberger hat ein bemerkenswertes Porträt Richard von Weizsäckers gedreht, das zugleich ein so lakonisches wie diskretes Sitten- und Gesellschaftsbild seiner Familie bietet. Schwärmerische Rede gibt es hier nicht, das Wort „Liebe“ wird bei den Weizsäckers nicht verwendet.
Als Richard von Weizsäcker 1981 als Regierender Bürgermeister von Berlin kandidierte, wurde sein ältester Sohn Robert im Fernsehen gefragt, ob er stolz sei auf den Vater. Die Antwort des Doktoranden der Volkswirtschaft: „Höchstens im Geheimen, ein wenig. Nicht so, dass man sich jetzt an die Brust klopft.“ In dem biographischen Film, den Sandra Maischberger zum bevorstehenden neunzigsten Geburtstag des sechsten Bundespräsidenten gedreht hat, bildet dieser Archivfilmschnipsel das perfekte Pendant zu einem erhellenden Wortwechsel zwischen Richard von Weizsäcker und der Journalistin, die mit ihm an Schauplätze seiner Kindheit und seines beruflichen Lebens gereist ist.
Das Hauptinterview wurde kurioserweise im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel aufgezeichnet, also an einem Ort, der nicht in seiner eigentlichen historischen Bedeutung wieder ins Gedächtnis der Deutschen eingetreten ist, sondern als Monument eines Willens zum Konservieren von Spuren der Zerstörung, als Zeugnis der mühsamen und kunstreichen Überformung geretteter Substanz durch ein Pathos der Entblößung, kurz gesagt: als Denkmal seiner selbst. Hier also will Sandra Maischberger von Richard von Weizsäcker wissen, ob sein Vater, Ernst von Weizsäcker, unter Hitler Staatssekretär im Auswärtigen Amt, heute stolz auf ihn wäre.
In der Ämterlaufbahn alle übertroffen
Stolz? „Das ist ein Begriff, der bei uns in der Familie nicht üblicherweise benutzt wurde.“ Die Nachfrage - „Sondern, welcher denn?“ - ist falsch gestellt. Das als Stolz bezeichnete, seit jeher für aristokratische Ethiken bestimmende Gefühl wird in der familieninternen Kommunikation offenbar gar nicht auf einen Begriff gebracht. Richard von Weizsäcker deutet ein Schmunzeln und ein Kopfschütteln an und bekennt dann, er glaube schon, „dass es ihn gefreut hätte“ - es: die Tatsache, dass der Sohn den Vater und auch den Großvater, den württembergischen Ministerpräsidenten Karl Hugo von Weizsäcker, in der Ämterlaufbahn übertroffen und es bis zum Staatsoberhaupt, also zum Ersatzmonarchen, gebracht hat.
Es trägt zum lehrreichen Charakter des Films bei, dass Sandra Maischberger an ihre Aufgabe mit der Naivität der Medienpersönlichkeit herangeht, die meint, dass Gefühle dazu da sind, ausgestellt und angesprochen zu werden. Gleich von mehreren Mitgliedern der Familie von Weizsäcker wird sie darüber aufgeklärt, dass in der Familie ein anderer Code gilt. Ein Familienfoto, das Richard von Weizsäcker mit seiner Tochter Beatrice zeigt, sieht für Sandra Maischberger „nach großer Liebe aus“. Beatrice von Weizsäcker muss ihr eröffnen: „Das sind nicht Worte, die wir verwenden in der Familie.“
Bei der Nachfrage unterläuft der Interviewerin wieder ein bezeichnendes Missverständnis: Warum verwende man das L-Wort denn nicht, „jedenfalls nicht öffentlich“, was sie ja wohl gemeint habe? Das war aber gerade nicht gemeint. Die Fernsehjournalistin weiß, dass die Angehörigen von Politikern bei öffentlicher Beobachtung ihren Gefühlsausdruck unter Kontrolle halten müssen. Aber sie kann sich nicht vorstellen, dass dieser Ausdruck auch dann, wenn niemand zusieht, verpönt sein könnte, beziehungsweise dass er die Schablonen der schwärmerischen Rede verschmäht - und das schon, bevor ein Familienleben die Eingemeindung durch die Politik geschehen lässt.
Die Lakonie der öffentlichen Selbstauskünfte
Öffentlich spreche man schon gar nicht von Liebe, erklärt Beatrice von Weizsäcker, privat auch nicht. Das Lexikon der Familie wird definiert durch die Vokabel, die darin keinen Platz findet: „ein klassisches Wort, das in unserer Familie nicht vorkommt, obwohl sie die Empfindung hat“.
Beinahe unwirsch wird Richard von Weizsäcker, als Sandra Maischberger nicht ablässt von ihrem Versuch, ihn zu einem Glaubensbekenntnis zu überreden. Es ist der Sohn Fritz von Weizsäcker, der mit der Skizze einer Erzählung von väterlicher Weisheit, die frühreifen religionskritischen Übermut der Kinder sich austoben ließ, einen Einblick in die Lebensform gibt, auf deren Intransparenz der Patriarch schroff besteht. Der Lakonie von Richard von Weizsäckers Selbstauskünften wird durch die Anmerkungen seiner Kinder das Befremdliche genommen, das sie für ein nachbürgerliches Zeitalter hat.
Diese Kommentare fallen stellenweise sehr direkt, ja scheinbar indiskret aus. Fritz von Weizsäcker ist „überzeugt, dass er sich an das erinnert, an was er sich erinnern will, und an alles andere nicht“. Der Medizinprofessor setzt hinzu, das „Verdrängen und Blockieren“ sei eine „ganz normale Eigenschaft des menschlichen Gehirns“. Diese drastische Formulierung kann man nicht als Vatermordversuch verstehen, als Kritik jener berühmten Rede vom 8. Mai 1985, die als Manifest eines unbedingten Erinnerns gewirkt hat. Der Anspruch, den der Geschichtspolitiker Richard von Weizsäcker an die Öffentlichkeit stellte, setzte, um nicht unmenschlich zu werden, voraus, dass nicht alles öffentlich wird. Es muss eine Privatsphäre geben, in der Menschen ohne Rhetorik mit sich ins Reine zu kommen versuchen.
Dass diese Privatsphäre selbst ein Stück Gesellschaft ist, zeigt Sandra Maischbergers Film, der ein bemerkenswertes Selbstporträt der Familie von Weizsäcker geworden ist.