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Machtkampf im „Spiegel“ : Der Chef ist weg, es lebe der Chef!

Er soll es richten: Dirk Kurbjuweit ist neuer Chefredakteur des „Spiegel“. Bild: picture alliance / Pacific Press

Für 24 Stunden schien es so, als gäbe es beim „Spiegel“ einen Aufstand der Redaktion gegen die Entlassung des Chefredakteurs Steffen Klusmann. Doch dann – wird der neue Chef Dirk Kurbjuweit mit Pathos begrüßt, als sei nichts gewesen.

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          Am Tag danach klingt es beim „Spiegel“ wie bei Radio Eriwan: Alles in feinster Ordnung, besser kann es nicht sein, es geht voran. Dick aufgetragen jedenfalls ist die Mitteilung formuliert, mit welcher das Magazin am Donnerstagabend den Wechsel an der Spitze der Redaktion bekannt gab. Der bisherige Chefredakteur Steffen Klusmann muss gehen, sein Nachfolger heißt Dirk Kurbjuweit, der bislang das Hauptstadtstudio leitete.

          „Im gegenseitigen Einvernehmen“

          Klusmann, heißt es, verlasse das Haus „nach der Umsetzung weitreichender Reformen in den vergangenen Jahren im gegenseitigen Einvernehmen“. Man sei ihm „zu großem Dank verpflichtet für seine wegweisende Arbeit in den vergangenen fast fünf Jahren, allem voran für die Zusammenführung der Print- und Onlineredaktion und die Erfolge in unserer digitalen Abo-Strategie“, wird der Geschäftsführer Thomas Hass zitiert.

          „Mit seinem Instinkt als Blattmacher und vielen journalistischen Erfolgen“ habe Klusmann dem „Spiegel“ „in herausfordernden Nachrichtenzeiten das Vertrauen seiner Leserinnen und Leser gesichert“. Man hätte sich „in den vergangenen Jahren keinen Besseren vorstellen können“ und bedauere „sehr, dass es am Ende nicht gelungen ist, unsere immer sehr gute Zusammenarbeit für die Zukunft fortzusetzen“.

          Steffen Klusmann wiederum war es, so die Mitteilung, „eine große Ehre, in den vergangenen fast fünf Jahren für die ,Spiegel‘-Redaktion gearbeitet zu haben“. Man habe „eine ganze Menge gemeinsam erreicht“. Zuletzt aber hätten „Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen allerdings allzu oft keine Einigkeit erzielt – was nun mein Ausscheiden zur Folge hat“, sagt Klusmann und formuliert damit den ersten halbwegs der Realität zugewandten Satz.

          Wurde gegangen: Der „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann
          Wurde gegangen: Der „Spiegel“-Chefredakteur Steffen Klusmann : Bild: dpa

          An der Spitze des „Spiegel“ hatte es nämlich eine harte Auseinandersetzung gegeben, über deren Gründe zwei Tage lang spekuliert wurde. Machtaspirationen der Geschäftsführung wurden erwogen, Klusmann wurde die fehlende Moderation von Problemen in der Redaktion angelastet. Nachdem er sich am Ende einer Redaktionskonferenz etwas verklausuliert für immer verabschiedet hatte, schien am Mittwoch ein Aufstand der Redaktion heraufzuziehen: Protestbrief, Ad-hoc-Versammlung, kritische Fragen an den Großgesellschafter, die Mitarbeiter KG.

          Sturm im Wasserglas

          Doch dann, keine 24 Stunden später, sieht der vermeintliche Aufstand wie ein Sturm im Wasserglas aus und wird der neue starke Mann, der im Hintergrund die Fäden gezogen haben dürfte, wie der Messias begrüßt: „Für die Nachfolge in der Chefredaktion“ sei es „Gesellschaftern und Geschäftsführung wichtig, laufende Reformprojekte mit verlässlicher Stabilität vorantreiben und die strategische Priorisierung von ,Spiegel+‘ intensivieren zu können“, heißt es da, womit auch ausgedrückt wäre, was Steffen Klusmann in den Augen der Gesellschafter und der Geschäftsführung offenbar nicht gelungen ist. Dirk Kurbjuweit bringe „als herausragender Publizist alles mit“, man habe ihn „viele Jahre als streitbaren, durchsetzungsstarken Kollegen erlebt“, er werde „die richtigen Impulse für ,Spiegel‘-Journalismus im Netz wie im Magazin setzen“, sagt der Geschäftsführer Thomas Hass.

          „Das Vertrauen in meine Arbeit und meine Person freut und ehrt mich“, retourniert der neue Chefredakteur Kurbjuweit. „In den vergangenen Jahren“ sei „eine großartige Grundlage geschaffen“ worden, „um dem ,Spiegel‘ eine dauerhafte digitale Zukunft zu sichern und auch das Magazin noch besser zu machen“, es gehe darum, „bestmögliche journalistische Qualität zu liefern“, er werde „die laufenden Erneuerungsprozesse der Chefredaktion aufnehmen und im intensiven Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen weiterentwickeln“.

          Das heißt im Klartext: Beim „Spiegel“ geht es so weiter wie bisher, mit Friede, Freude, Eierkuchen in der Außendarstellung, von deren Echtheit wir uns dann spätestens beim nächsten Chefredakteurswechsel wieder ein Bild machen können.

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

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