Lena-Odenthal-“Tatort“ : Fünfundzwanzig Jahre Einsamkeit
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Die Nacht ist vorbei und wieder hat Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) nicht geschlafen. Leer und fremd scheint ihr die Welt. Bild: SWR/Alexander Kluge
Ein Vierteljahrhundert Polizeiarbeit hat Spuren hinterlassen: Als Lena Odenthal wirkt Ulrike Folkerts in der neuen Folge des „Tatorts“ aus Ludwigshafen so angespannt wie nie. Und dann ist ihr Partner Mario Kopper auch noch in Urlaub.
So schutzlos hat schon lange keine Fernsehschauspielerin mehr ihr Gesicht der Kamera ausgeliefert: Stirnfalte, Augenringe, Krähenfüße, fast jede Pore und Pigmentstörung werden in diesem „Tatort“ mit Ulrike Folkerts als Lena Odenthal bildschirmfüllend gezeigt. Und das nicht etwa, weil die Kommissarin in einem Nahkampf mit irgendeinem Schuft, sondern im Kampf mit sich selbst zu sehen ist.
Schlaflosigkeit, Kreislaufattacken, Kurzatmigkeit, Schweißausbrüche und sekundenweise Wachschlaf - die Erkenntnis, zu altern, einsam zu sein und versäumtes Leben nicht mehr nachholen zu können, schlägt über ihr zusammen. Midlifecrisis: Welch ein törichtes, oberflächliches, verharmlosendes Wort für diese elementare Lebenskrise, die jeder, der nicht jedes Selbstgefühl in sich abgetötet hat, irgendwann einmal erlebt.
So allein war diese Lena Odenthal noch nie. Seit fünfundzwanzig Jahren ist sie nun schon die einsame Wölfin in Ludwigshafen. Doch diesmal - vielleicht der Auslöser ihrer wiederholten kurzen Zusammenbrüche - steht ihr nicht einmal ihr Kollege, Mitbewohner und Kumpel Mario Kopper (Andreas Hoppe) zur Seite. Da er Urlaub hat, wuselt die junge Fall-Analytikerin Johanna Stern (augenrollend, mit Haaren auf den Zähnen: Lisa Bitter) neben ihr herum.
Tränen der Wut, Tränen der Resignation
Während die Odenthal noch mit dem Schrecken kämpft, den ihr der Anblick eines Mordopfers bereitet, filmt Johanna Stern ungerührt und übereifrig Opfer und Tatort. Bar jeden Einfühlungsvermögens erklärt sie kurz darauf der Kommissarin, sie solle kürzertreten, auch wenn es schwerfalle: „Was meinen Sie, was das für ein Theater war, als meine Oma einsehen musste, dass sie nicht mehr Ski laufen kann.“ Ob die Tränen, die daraufhin Lena Odenthal in die Augen steigen, solche der Wut oder der Resignation sind, bleibt offen.
Mit erloschener Miene erzählt später die angetrunkene Kommissarin einem Barkeeper von ihrer Angst, einmal allein in ihrer Wohnung zu sterben, von niemandem vermisst. Ihr Kater, so fürchtet sie, könne dann nach einigen Tagen über ihren Leichnam herfallen. Ein drastisches Bild, ein für sentimentales Pathos anfälliger Text, den Ulrike Folkerts bravourös bewältigt. Doch meistens liefert ihr das Drehbuch von Eva und Volker A. Zahn nur klischierte Sätze und soziologisch korrekte Leerformeln; da helfen weder das große Können der Schauspielerin noch ihr Mut zum Risiko.
Gut gedacht, lau gemacht: Bei so viel Papier fällt denn auch ausgerechnet im Jubiläums-„Tatort“ auf, dass im deutschen Fernsehen Kriminalfälle längst das Vehikel darstellen, um Menschenleben auszuerzählen. In „Blackout“ liefert ein Architekt mit Zweitleben als Womanizer, der auch vor K.-o.-Tropfen nicht zurückschreckt, den Vorwand, von der verzweifelten „Suche nach ein bisschen Zärtlichkeit“ (so besagter Barkeeper) zu erzählen.
Untrügliches Gefühl für das Seelenleben der Kommissarin
Der ermordete Architekt war womöglich Opfer eines Racheakts. Aber wäre die junge Medizinstudentin, die aus seiner Wohnung taumelte, dazu imstande? Verdächtig macht sich auch der beste Freund und Geschäftspartner des Toten, ebenso der Bruder, der nicht verhehlen kann, wie sehr er in seine Schwägerin verliebt ist. Oder ist sie, die Ehefrau des Sexsüchtigen, die Mörderin?
Krankhaft selbstbeherrscht, angeblich von den Eskapaden ihres Mannes wissend und sie tolerierend, aber zugleich wie von Furien gehetzt wirkend, unternimmt sie nach einem harten Verhör durch Lena Odenthal einen Selbstmordversuch. „Was sind Sie bloß für ein Mensch?“, fragt wohlfeil empört Johanna Stern deswegen die vermeintlich toughe Odenthal und reißt ihr endgültig den Boden unter den Füßen weg.
Gut, dass Kopper im Lauf der Jahre ein untrügliches Gespür für Lena Odenthals Seelenleben entwickelt hat. Er bricht seinen Urlaub ab und reißt sie mit einem ruhigen „Du hast doch mich“ vom Rand der Depression zurück. Das gibt Andreas Hoppe Gelegenheit zu zeigen, dass er mehr spielen kann als den Semiitaliener zwischen Knurrigkeit, Stenz und Olivenöl. Ein Jammer, dass die Vorlage dem Regisseur Patrick Winczewski so wenig Gelegenheit gibt, auf seine beiden großartigen Hauptdarsteller zu setzen. Und ebenso schade, dass Ulrike Folkerts ihren Mut zum ungeschönten Spiel an eine eher flaue Story verschwenden muss. Immerhin, seit fünfundzwanzig Jahren ist sie eine Bank der „Tatort“-Reihe. Daran wird dieser Blackout der übrigen Beteiligten nichts ändern.
Tatortsicherung
Sind viele Polizeibeamten auch so kaputt wie Lena Odenthal in ihrem 25. Dienstjahr? Und wie wirken eigentlich K.O.-Tropfen? Diese und andere offene Fragen zum neuen Tatort beantworten Experten am Sonntag von 21.45 Uhr an unter faz.net/tatortsicherung. Parallel zur Fernsehausstrahlung veröffentlichen wir die Fragen zum Miträtseln auf dem Twitter-Account @FAZ_Feuilleton und unter #Tatort.