Marie Kondo bei Netflix : Wegschmeißen, aber achtsam
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Aufräumen macht sie glücklich: Marie Kondo Bild: Denise Crew/Netflix
Alles auf einen Haufen, eine Kerze anzünden und dann schön falten: Die Aufräum-Ikone und Bestsellerautorin Marie Kondo zeigt bei Netflix, wie man richtig ausmistet.
Ordnung ist des Hauses Zierde, aber Bücher kaufen ist auch schön, selbst wenn sie nicht mehr ins Regal passen. Oder Kleider. Oder Bratpfannen. Jeder hat eben etwas, was ihn glücklich macht. Zumindest, bis es nur die Wohnung verstopft, weil es unter fünf anderen Dingen begraben liegt. Das ist üblicherweise die Situation, in der Menschen versuchen, auszumisten und aufzuräumen. Pragmatiker gehen es mit schwarzen Müllsäcken an. Für Theoretiker und sentimentale Seelen gibt es seit 2013 auf Deutsch die Bücher der Japanerin Marie Kondo, die vom Aufräumen besessen ist und einen etwas esoterischen Ansatz hat: Socken etwa, findet sie, haben ein hartes Leben an unseren Füßen und sollten in der Schublade nur locker gerollt werden, nicht gespannt ineinander gezwirbelt. Schließlich sei es ihr Urlaub.
Für Menschen, die für Socken so fürsorgliche Gefühle aufbringen können, ist die neue Netflix-Serie ein Fest: „Aufräumen mit Marie Kondo“ begleitet die Bestsellerautorin, für die man sich doch wirklich mal eine weibliche Form des Wortes Guru wünschen würde, zu amerikanischen Familien. Wer ebenfalls auf Netflix die Serie „Consumed“ gesehen hat, in der eine zupackende Kanadierin völlig zugemüllte Häuser mit den Bewohnern ausmistet, erlebt hier das Kontrastprogramm. Die meisten Wohnungen sind hübsch und wirken auf den ersten Blick ordentlich. Dafür haben sie vollgestopfte Schränke, chaotische Gästezimmer oder Garagen, in die das Auto nicht mehr passt. Das erhöht das Identifikationspotential ungemein.
Mit weißem Cardigan, Feenröckchen und Ballerinas steht die dauerlächelnde Mittdreißigerin Kondo bei diesen Familien vor der Tür, begleitet von einer Übersetzerin. Begeistert reagiert sie auf die etwa 250 Paar Schuhe einer Familie – hurra, ausmisten! Ihre Freude daran wirkt tatsächlich ansteckend, zumindest solange man nicht vom Sofa aufstehen muss. Aber als Erstes kniet Kondo sich stets auf den Boden und begrüßt in stiller Zwiesprache das Haus, während die Bewohner danebenstehen und unterschiedliche Grade der Verlegenheit zeigen. Denn das Haus ist beseelt, und alle Gegenstände ebenfalls. Nicht nur die Socken, auch die Bücher, die man erst mal tätschelnd aufwecken muss, ehe man sie aussortiert. Und auch jedes Kleidungsstück, bei dem die Besitzer sich bedanken müssen, ehe sie ihm adieu sagen.
Während all das in Marie Kondos Büchern etwas überspannt wirkte, macht ihre Präsenz es plausibel: Die junge Mutter war nach der Schule Hilfspriesterin in einem Shinto-Schrein. Ihr Respekt vor Gegenständen scheint Teil ihrer Spiritualität zu sein und findet sich ansatzweise im Shintoismus wieder. Allerdings wirkt sie vor der Kamera so kontrolliert, fast roboterhaft, dass sie dem Zuschauer vollkommen fremd bleibt. Das macht die achtsame Herangehensweise noch exotischer. Während die besuchten Familien von ihr schwärmen und traurig sind, wenn sie wieder geht, fragt man sich, welche grandiose Persönlichkeit zum Vorschein gekommen sein muss, während der Kameramann seine Zigarettenpäuschen eingelegt hat.
Kleidung, Bücher, Papiere und „Komono“, also Vermischtes, zerren die Familien unter Kondos Anleitung hervor und werfen es auf einen Haufen, um dann auszumisten, alles hübsch zu falten und in kleinen Schächtelchen ordentlich in Schubladen unterzubringen. Die Kaiserin der Ordnung faltet winzige Babysöckchen, macht vor, welche Freude ein Gegenstand versprühen muss, damit man ihn behalten sollte, und hat Empfehlungen für Momente, in denen man beim Aufräumen überfordert ist: Einfach mal das Fenster öffnen, eine Kerze anzünden oder Raumspray benutzen.
Dazwischen erklärt Marie Kondo die Theorie, während sie stocksteif auf einem Sofa sitzt. Alles ist pastellfarben und zuckersüß; es ist die perfekte Serie für eine Zeit, in der Cupcake-Accounts Erfolge auf Instagram feiern. Für die meisten Zuschauer dürfte das den Effekt einer Kochsendung haben: Wenn man es angeguckt hat, ist man so befriedigt, dass man es selbst gar nicht mehr umsetzen muss. Zugleich ist es eine Dauerwerbesendung für Marie Kondos Ratgeberbücher. Aber wenn man erst mal sechs Familien dabei zugeschaut hat, wie sie Bücher ausgemistet haben, ist man vielleicht doch vorsichtiger dabei, neue zu erstehen.