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Kriegsberichterstattung : Opfer der Objektivität

Das Leid anderer betrachten: Kriegsfotografen im  Gazastreifen

Das Leid anderer betrachten: Kriegsfotografen im Gazastreifen Bild: REUTERS

In Kriegen und Katastrophen sind Journalisten oft die Ersten, die mit dem Leid konfrontiert werden. Trotzdem glauben viele, das Grauen auf Distanz halten zu können. Noch immer tut man sich schwer, auch Journalisten zu den Opfern jener Ereignisse zu zählen, über die sie berichten.

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          Die Bilder, die Carl Just in jener Nacht vor ein paar Jahren vor Augen hatte, waren selbst für den Schweizer Kriegsberichterstatter von einer ungewöhnlichen Drastik: „Amerikanische Panzer kreuzen am Seebecken mit Sprengstoff voran, vollbeladene Schnellboote greifen die tristen und grauen Bunker der großen Versicherungsgesellschaften am Seeufer an. Ungehindert und ungebremst donnern die Boeing und Airbusse ins Berner Bundeshaus, in den Genfer Völkerbundpalast und schließlich in die protzigen Paläste der Schweizer Banken. Über den schmucken Schweizer Städten stehen schwarze Rauchsäulen, das penetrante Geheul der Sirenen von Polizei, Feuerwehr und Ambulanzen erfüllt die putzige Alpenrepublik.“

          Harald Staun
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Es ist das Protokoll eines Albtraums. Die Sprache soll noch einmal helfen, den Horror zu bannen, den der Journalist erlebt hat, aber es ist zu spät: Über zwanzig Jahre lang hatte Carl Just von Krisen aus aller Welt berichtet, hatte in seinen Fotos die unvorstellbarsten Grausamkeiten festgehalten. Vor ein paar Jahren brach der Krieg in seinem Kopf aus.

          Angefangen hatte alles mit einem Papagei, zu Hause, in der Idylle, in der fast schon klischeehaften Gegenwelt zu jenen Regionen, die Just bereiste. Maienfeld, wo Just wohnt, ist das „Heididorf“, hier spielen die Romane Johanna Spyris. Auf einer Fahrradtour hatte er in einem Restaurant Pause gemacht, hinter der Theke saß der Vogel, und als Just weiterfuhr, begannen die Flashbacks. Erst in der Arbeit mit seiner Therapeutin erinnert er sich: an Beirut, Mitte der achtziger Jahre, an die fünfundachtzig verstümmelten Palästinenser, und wie sie da lagen, aufgereiht auf einer Wiese, an das Hotel „Commodore“ in Beirut und eben an Coco, den Papagei an der Rezeption. Immer wieder erleidet Just Zusammenbrüche, lässt sich psychiatrisch behandeln, irgendwann lautet die Diagnose: PTSD – Posttraumatische Belastungsstörung.

          Der eigene Ort in der Katastrophe

          Man braucht kein psychiatrisches Studium, um nachzuvollziehen, dass ein Leben als Kriegsreporter seelische Probleme nach sich ziehen kann. Man muss sich nur selbst die Bilder vergegenwärtigen, die sich im öffentlichen Bewusstsein durch Journalisten wie Carl Just eingeprägt haben, Bilder vom Tod aus dem Libanon, aus dem Irak, vom Balkan. Und dennoch tut man sich ein wenig schwer, auch Journalisten zu den Opfern jener Ereignisse zu zählen, über die sie berichten; am schwersten aber tun sich damit die Journalisten selbst.

          Jede andere Gruppe, die beruflich mit extremen Formen von Leid und Gewalt konfrontiert ist, Rettungshelfer und Soldaten, Polizisten und Ärzte, setzt sich längst mit dem Problem auseinander, das Psychologen als „sekundäre“ (oder „stellvertretende“) Traumatisierung kennen. Journalisten sind oft die Ersten, die am Ort einer Katastrophe eintreffen; aber sie sind die Letzten, die sich damit beschäftigen, welche Rolle sie selbst in einer solchen Situation einnehmen.

          Horror auf Distanz

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