Kampagne gegen Kreative : Virus gegen das Urheberrecht
- -Aktualisiert am
Der Streit um das Urheberrecht im Internet beschäftigte im vergangenen Jahr das Europäische Parlament. Jetzt geht es um die Umsetzung in nationales Recht. Bild: dpa
Die Corona-Pandemie wird von Netzaktivisten instrumentalisiert, um Rechte der Kreativen zu delegitimieren. Die Kampagne nützt den Monopolisten. Mit verantwortlicher Freiheit hat das nichts zu tun. Ein Gastbeitrag.
Internetaktivisten und Plattformen des Silicon Valley, deren Ziel es schon seit zwei Dekaden ist, das Urheberrecht zu schwächen oder gar ganz abzuschaffen, ziehen neue Angriffsenergie aus der Corona-Pandemie, indem sie die Krise nutzen, um – wie etwa das „Internet Archive“ in den Vereinigten Staaten – für „free flow of information“ und „free access to culture“ zu argumentieren, ohne irgendeine Güterabwägung mit den Interessen der professionellen Urheberinnen und Urheber vorzunehmen. Das hatten wir im letzten Jahr zur Abstimmung der Urheberrechtsreform im Europaparlament schon als öffentlich zugespitzten Konflikt und dem Framing, die Reform führe zu Zensur.
Jetzt wird die Corona-Krise benutzt, um gegen die Urheber-Interessen vorzugehen. Es müsse jetzt schnell Zugang zu Inhalten geben, da viele Kulturinstitute geschlossen seien, heißt es. Vor zehn Jahren war das Argument gegen Urheberschutz im Netz, Musiker sollten ihr Geld mit Live-Konzerten verdienen. Das ist jetzt nicht mehr möglich, also wird ein neues Argument eingeführt. Das Ziel, geschützte Inhalte zugänglich zu machen, ist richtig, aber die Bedingungen müssen auch in der Krise stimmen.
Nach wie vor fußt die Kampagne der Internetaktivisten (von den Piraten, über Internetmonopole wie Youtube und Stiftungen wie Wikimedia und die Shuttleworth Foundation) auf einem völlig unregulierten Freiheitsbegriff und gibt sich damit neoliberal in Bezug auf die Regulierung der Plattformen (keine Haftung, keine Kontrolle) und sozialistisch in Bezug auf die Nutzer und Uploader: Alles soll unreglementiert und sofort zur Verfügung stehen. Um die Delegitimation der Bezahlinteressen der Urheberinnen zu erzielen, hat man die Wertschöpfungslücke für Künstlerinnen und Künstler bei den großen kommerziellen Internetmonopolen negativ gerahmt, indem man behauptete, dass die vorgeschlagene Regelung der Urheberrechtsreform (Artikel 13 und 17 der EU-Urheberrechtsrichtlinie) zur Zensur führe. Der Hauptangriff ging gegen sogenannte „Uploadfilter“, die das „Internet, wie du es kanntest“, zerstörten. „Save your Internet“ lautete die Kampfparole. Die Urheberrechtsreform ziele dagegen auf ein „Shape your Internet“. Verschwiegen wurde die Tatsache, dass es längst unregulierte Uploadfilter bei allen Internetmonopolen gibt und die Reform gerade eine Regulierung dieser Praxis zum Ziel hatte.
Neoliberaler kann man es nicht formulieren
Eine der Hauptkämpferinnen gegen die Reform, Julia Reda von den Piraten (und meine Gegenspielerin in dieser Frage im Europäischen Parlament), ist jetzt Lobbyistin der Shuttleworth Foundation in Berlin für die Abschwächung der Urheberrechtsreform. Julia Reda arbeitet auch für die Gesellschaft für Freiheitsrechte, um die Gefahr für die Grundrechte, die angeblich durch die Urheberrechtsreform gegeben sei, zu bannen. Schaut man sich das Narrativ der Shuttleworth Foundation an, findet man die ganze Argumentation der Internetaktivisten, die in grenzenloser Freiheit und keiner Regulierung des Netzes, vor allem nicht durch das Urheberrecht, eine Befreiung des Menschen sehen durch Bildung, Kommunikation und freien Kulturaustausch. Es gipfelt in der Formulierung „Limitless Freedom“ (grenzenlose Freiheit). Neoliberaler kann man es nicht formulieren. Dieses Framing ist mehr als bedenklich angesichts der Entwicklungen von Rechtsradikalismus, Antisemitismus, Terrorposts und Nichtbezahlung professioneller Arbeit im Netz.
Die negativen Entwicklungen nicht zur Kenntnis zu nehmen grenzt an politischen Autismus. Sich selbst adelt diese Ignoranz durch eine beispiellose Argumentationskette angeblicher ungetrübter Erfolge. Der reine Kultursozialismus wird versprochen. Die Monopolisierung der digitalen Plattformen wird nicht als Problem thematisiert.
In der Tat muss man diese Verbindung von sozialistischer Kulturteilhabe, neoliberaler Nichtregulierungsattitüde und beinharter Verteidigung der Monopole als Effekt dieser Grundhaltung, für eine ziemliche Erfolgsgeschichte des Narrativs des Silicon Valley und seiner Internetaktivisten ansehen, die diese Ideologie in die Köpfe der Menschen, vor allem der „Digital Natives“, getragen haben.
„Limitless Freedom“ ist kein Zukunftskonzept
Aber: „Limitless Freedom“ ist kein Zukunftskonzept. Es ignoriert alle Schattenseiten, die die fehlende Einbettung des Agierens der digitalen Monopole gezeitigt hat: Datenmissbrauch, viel zu schlechte Bezahlung von Urheberinnen und Urhebern, Fake News, Hatespeech, Steuerversäumnisse. „Embedded Freedom, embedded Liberalism“ – also die Einbettung der Freiheit, die Einordnung der Interessen der Monopolisten –, das ist die politische und gesellschaftliche Herausforderung der Stunde. Gesellschaftliche und gesetzliche Regeln zur Eindämmung der entstandenen Probleme sind überfällig, natürlich ohne Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Deswegen ist es richtig, dass Algorithmen nicht alleine darüber entscheiden dürfen, was hochgeladen oder gelöscht wird, dazu ist menschliche Urteilskraft unerlässlich. Menschen, die diese wichtige Arbeit leisten, müssen von den Plattformen bezahlt werden. Dieser Lösungsansatz, Algorithmen (vulgär: „Uploadfilter“) und menschliche Urteilskraft zu verbinden, ist Teil der europäischen Urheberrechtsreform. Ebenso ist die europäische Urheberrechtsreform darauf ausgelegt, die Monopole zu regulieren und kleine Plattformen nicht im selben Maße in die Verantwortung zu nehmen oder sogar ganz auszuschließen, wie Foren und zum Beispiel Wikipedia.
Das Urheberrecht ist für Künstlerinnen und Künstler das, was der Datenschutz für Verbraucherinnen und Verbraucher ist. Die Corona-Pandemie nun zur Delegitimierung der Urheber-Interessen zu nutzen ist schäbig, vor allem jetzt, wo viele Künstlerinnen und Künstler wegen der Krise so leiden. Das Urheberrecht meint den Schutz der Urheberinnen und Urheber, ökonomisch und persönlich, und wirkt für einen Ausgleich mit Interessen der Allgemeinheit.
Die Parteivorsitzende der SPD, Saskia Esken, sollte verstehen, dass eine sozialdemokratische Haltung den Schutz der Nutzer und den der Urheberinnen und Urheber verbinden kann, wenn die Plattformen endlich Verantwortung übernehmen müssen. Sie aus der Verantwortung zu lassen, indem man ihnen ihre Kampagne des Zensurvorwurfs durchgehen lässt, hat mit dem Schutz der Kleinen vor den Großen nichts zu tun. Im Gegenteil ist es de facto der Schutz der Monopole durch Nichtregulierung: Soll das sozialdemokratische Politik sein?