Interviews : Das Autorisieren ist kein leerer Wahn
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Vor dem Hintergrund eigener Erfahrung plädiert Ulrich Wickert für die Autorisierungspflicht Bild: picture-alliance/ dpa
Viele Interviews stehen nur in einem vagen Zusammenhang zu dem, was einmal gesagt wurde. Verhindert die Pflicht zur Autorisierung jegliche Authentizität? Die Autorisierung sei trotzdem notwendig, meint Ulrich Wickert. Denn manche journalistische Frage stehe auch nur in vagem Zusammenhang zu dem Befragten.
Live ist am besten. Da weiß jeder, woran er ist, der Befragte und der Journalist. Live habe ich allerdings auch meine größte Niederlage erfahren, als ich Regine Hildebrandt, der engagierten Sozialministerin von Brandenburg, eine kurze Frage in den „Tagesthemen“ stellte. Sie antwortete sechs Minuten lang mit solcher Verve, ohne Punkt, Komma oder Strich, dass ich nicht dazwischen kam. Da hatte ich wohl die falsche Frage gestellt. Vier Minuten hatten wir für das gesamte Gespräch vorgesehen.
Ein live geführtes Interview in den elektronischen Medien braucht nicht autorisiert zu werden; denn es ist ja sichtlich authentisch. Es verlangt von dem Befragten zwar eine gewisse Konzentration darauf, was er sagen will - und was nicht. Aber auch der Journalist, will er sich nicht blamieren, muss gut vorbereitet sein, denn geht er von falschen Voraussetzungen in einer Frage aus, kann er sich nicht mehr korrigieren. Ein Vorteil von live liegt für uns Journalisten außerdem darin, dass - nehmen wir an, der Befragte sei ein Politiker - dieser reagieren muss. Wie auch immer. Und seine Reaktion wird einiges über ihn verraten.
Falsch gefragt, Herr Wickert!
Bundeskanzler Gerhard Schröder war nach einem Jahr Amtszeit 1999 auf dem Tiefpunkt der Zustimmung angekommen. In den „Tagesthemen“ fragte ich ihn: „Haben Sie als Parteivorsitzender versagt?“ Er nahm die Kritik auf, als er auch antwortete: „Versagen ist vielleicht ein zu hartes Wort, aber . . .“ Seine Antwort hätte ich auch in einem schriftlich bearbeiteten Interview stehenlassen.
Angela Merkel dagegen beherrscht die Kunst, eine Frage nicht zu beantworten. Deshalb sagte ich einmal zu ihr live: „Sie haben meine Frage jetzt aber nicht beantwortet.“ Sie antwortete lakonisch: „Ja.“ So kann's gehen. Das wirkt dann wie eine Watsche. Falsch gefragt, Herr Wickert! Vielleicht hätte ich dieses für mich peinliche Geplänkel in ein gedrucktes Interview gar nicht aufgenommen.Nun lassen sich nicht alle Gespräche in den elektronischen Medien live führen. Viele werden aufgezeichnet. Und dann besteht die Möglichkeit des Schnitts. Ein Schnitt sollte eigentlich nur mit der Zustimmung des Befragten gemacht werden. Manchmal bittet der Politiker sogar darum.
Max Streibls Feierabendlaune
Der bayerische Ministerpräsident Max Streibl, so wusste man in Fachkreisen, sei besser vor sieben Uhr abends zu interviewen, später schlage seine Feierabendlaune durch. Als Bundespräsident Richard von Weizsäcker in Zeiten zunehmender rechter Gewalttaten zu einer Großdemonstration in Berlin aufrief und sogar Bundeskanzler Helmut Kohl seine Teilnahme zusagte, wurden beide von Streibl heftig kritisiert. Die „Tagesthemen“ baten Streibl deshalb zu einem Interview. Als ich ihn dann bei der Aufzeichnung fragte, weshalb er sich gegen diese Demonstration ausspreche, obwohl doch Präsident und Kanzler daran teilnähmen, antwortete Streibl, es gebe ein schlechtes Bild ab, wenn die Demonstranten schreiend durch die Straßen zögen. „Wie?“, fragte ich nach, verblüfft von der Vorstellung, Bundespräsident und Bundeskanzler liefen schreiend durch die Straßen. Streibl hatte sich - schon in Feierabendlaune - vergaloppiert. Er bat, diese Passage zu schneiden. Damals haben wir bedauert, nicht live gesendet zu haben. Aber natürlich haben wir aus Gründen der Fairness geschnitten. Ein Politiker kann sich versprechen und dann den Schnitt, so er möglich ist, erbitten.
Nun habe ich nicht nur Interviews geführt, sondern bin auch häufig selbst befragt worden. Auf der anderen Seite stehend, habe ich so manches Mal mein Gegenüber verflucht. „Herr Wickert, jetzt haben auch Sie ein Buch geschrieben, worum geht es denn darin?“ Es war mein zehntes Buch. Den Titel konnte der Kollege nicht korrekt nennen, wohl nach dem Motto: Ich will mal ganz unbefangen fragen, deshalb habe ich mich nicht vorbereitet.
Fragen ohne zu wissen