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Filmakademiechef Thomas Schadt : Fragen stellen, die zum Nachdenken zwingen

Thomas Schadt leitet die Filmakademie in Ludwigsburg seit 2005. Bild: Filmakademie Baden-Württemberg

Die Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg will sich europäisieren und international werden. Aber was lernt man an einer solchen Hochschule heute überhaupt? Ein Gespräch.

          6 Min.

          Wir leben in einer Welt, die von Digitalisierung und Wahrnehmungswandel geprägt ist. Vor allem bei Jüngeren, die auf klassische Medien weniger zurückgreifen. Sie leiten eine „Film“-Akademie. Da denkt man ans Kino, das immer wieder totgesagt wird, und ans Fernsehen, das niemand mehr sieht. Wofür bilden Sie in Ludwigsburg junge Leute eigentlich aus?

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

          Wir bilden unsere Studierenden für einen regionalen, nationalen und internationalen Medienmarkt aus, in dem es um Bewegtbild im weitesten Sinn geht. Das ist sehr viel mehr als Film, das ist auch dokumentarischer Journalismus, das sind Animation, interaktive Medien bis hin zum Game, zur Installation, zur bildenden Kunst.

          Die alten Gewerke gibt es noch – Kamera, Schnitt, Buch, Regie, Produktion?

          Die Studierenden bewerben sich tatsächlich für ein Fach – szenische Regie steht nach wie vor besonders hoch im Kurs. Es kann aber sein, dass sich im Laufe der Ausbildung herausstellt, dass das Talent, das man glaubt, für eine bestimmte Sache mitzubringen, gar nicht so gegeben ist und sich an einer anderen Stelle entfaltet. So entpuppen sich Dokumentarfilmer unter Umständen als hervorragende Spielfilmregisseure. Mit solchen Wechseln rechnen wir und stellen unser Unterrichtssystem darauf ab. Dazu haben wir alle Gewerke demokratisiert. Es gibt nicht mehr die Königsdisziplin, jedes Handwerk, jedes Genre ist gleichberechtigt. Im nächsten Schritt erarbeiten wir interdisziplinäre Curricula – szenische Regisseure machen zu Beginn ihres Studiums Kamera, Kamerastudenten schreiben ein Drehbuch. Wir vermitteln den Studierenden ein Gefühl davon, was es überhaupt alles für sie gibt. Sie leben uns vor, wie wir unseren Unterricht künftig gestalten. Das nennen wir dialogisches Lehrprinzip. Wir lernen von unseren Studierenden so viel wie sie von uns.

          Wie reagieren Sie auf den Medienkonsum der jungen Leute? Die vom Internet geprägten Sehgewohnheiten?

          Erstaunlicherweise bringen unsere Bewerber wenig mediale Bildung mit, sie kommen als reine Konsumenten und sind beinahe ausschließlich über Internet und Social Media sozialisiert. Eine intellektuelle Durchdringung der Medienwelt ist die Ausnahme. In den ersten beiden Jahren führen wir sie in eine kritische Distanz zu alldem. Wir werfen sie auf sich selbst zurück und sagen: Scheitern ist das Programm, der Prozess ist wichtiger als das Produkt. Denkt darüber nach, was ihr tut. Wir wollen aus Konsumenten ja Produzenten, aus Amateuren wollen wir Profis machen. In der zweiten Etappe, im Projektstudium, holen wir den Markt in die Akademie und setzen darauf, dass unsere Studierenden auf diesen nun zugehen können – als Produzenten. Das stellt jeden, der mit der Vorstellung zu uns kommt, morgen bin ich in Hollywood, natürlich erst einmal vor eine große Aufgabe. Talent, Handwerk, Charakterbildung. Dann erst geht es auf die Spitze des Berges.

          Hinter der Kamera: In Ludwigsburg wird nicht nur zu Übungszwecken gedreht.
          Hinter der Kamera: In Ludwigsburg wird nicht nur zu Übungszwecken gedreht. : Bild: Filmakademie Baden-Würrtemberg

          Sind gefestigte Persönlichkeiten – Produzenten – gefragt? Geht es nicht darum, Vorgaben zu erfüllen – von Sendern, Firmen, Redaktionen, ohne Widerständigkeit?

          Bitte nicht! Das ist nicht der Auftrag einer Akademie. Hier geht es um universitäre Tugenden! Es geht um den Diskurs und um die Ausbildung systemresistenter Persönlichkeiten. Sie müssen Visionen entwickeln, an das glauben, was sie tun, dafür Verantwortung übernehmen, aber auch zum Dialog fähig sein. Es ist der gelebte Spagat zwischen Utopie und Realität. Der Medienmarkt braucht dringend starke Persönlichkeiten, die natürlich handwerklich perfekt sein sollten. Ich habe keine ernstzunehmenden Verantwortlichen in der Branche kennengelernt, die willfährige Dienstleister suchen.

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