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DLF-Intendant Stefan Raue : „Uns fehlen viele Stimmen im Programm“

„Man muss immer auch anderer Meinung sein dürfen, ohne als schlechter Mensch dazustehen“: Stefan Raue, Intendant des Deutschlandradios, im Funkhaus in Berlin Bild: Julia Zimmermann

Der Intendant des Deutschlandradios, Stefan Raue, will für fairen Meinungsstreit sorgen. In seinem eigenen Sender ging es zuletzt wegen eines Kommentars zur Aufnahme von Flüchtlingen hoch her. Raue erklärt, warum.

          6 Min.

          Sie habe sich vor kurzem in einem Gastbeitrag in der F.A.Z. für mehr Meinungspluralismus ausgesprochen. Die Überschrift lautete: „Rettet die Meinung!“ Wovor muss man sie denn retten?

          Harald Staun
          Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

          Man muss die Meinung davor retten, zum Luxus zu werden. Man muss sie davor retten, dass sie an den Rand gedrängt wird. Davor, dass sie nicht ein wesentlicher Teil unserer öffentlichen Diskurses bleiben kann. Wir haben, zugespitzt gesagt, die merkwürdige Diskussion, Medien wären gut, wenn sie nur das abbilden, was ist. Und so einfach ist die Geschichte nicht. Fakten sagen für sich gar nichts, die Einordnung ist das Wichtige, der Diskurs darüber ist das Wichtige. Meinung ist keine Kampfansage an den anderen, ist kein Beitrag zum inneren Bürgerkrieg. Es kommt nur darauf an, dass Meinungen in einer fairen Weise diskutiert werden können.

          Was verstehen Sie denn unter einem fairen Diskurs? Teilen Sie den grassierenden Vorwurf, dass immer mehr Stimmen ausgeschlossen werden?

          Ich bin seit 1986 Journalist. Freier war es nie. Nicht nur, weil wir als Journalisten emanzipierter und selbstbewusster geworden sind. Sondern weil die politischen Lager nicht mehr die Bindewirkung haben wie noch Mitte der achtziger Jahre. Diese ganzen Spielchen zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb, die Kämpfe um die kulturelle Hegemonie, das kann doch von den heute Zwanzig-, Dreißigjährigen keiner mehr nachvollziehen. Was wir aber haben, das ist zumindest meine Beobachtung, sind heftige Diskussionen zwischen der jüngeren und der älteren Generation. Die Jüngeren haben eine tiefe Sehnsucht nach neuer Subjektivität. Das ist eine ganz spannende Entwicklung. Gerade der journalistische Nachwuchs definiert sich zunehmend nach seiner eigenen, ganz subjektiven Perspektive. Und er hat eine andere Perspektive auf politische Aktionen und den journalistischen Beruf.

          Finden Sie diese neue Sichtweise interessant? Oder engstirnig?

          Engstirnig wäre der falsche Begriff. Ich bin anderer Auffassung. Wir haben eine andere Aufgabe. Wir sind nicht Akteure. Medien sind meiner Meinung nach auch nicht die vierte Gewalt. Wie haben eine dienende Rolle. Aber par ordre du mufti können Sie das nicht regeln. Das ist etwas, was Sie in der Diskussion verhandeln müssen. Und diese Diskussion finde ich sehr spannend. Aber das ändert nichts daran, dass wir unsere Arbeit machen müssen und dass wir die Rolle annehmen müssen, die uns die Verfassung gegeben hat.

          Sie sprechen von Positionen, die man als identitätspolitisch beschreibt und denen oft Intoleranz gegen andere Meinungsäußerungen vorgeworfen wird. Aber haben nicht gerade diese Gruppen ein sehr großes Interesse an der Vielfalt der Meinungen? Es geht ihnen doch vor allem darum, neue Stimmen sprechen zu lassen.

          Wichtiger als das Bewusstsein des Andersseins ist es für mich, die Möglichkeit zu sehen, mit jemanden in Kommunikation kommen zu können, der anders denkt. Ohne dass gleich das Hauen und Stechen losgeht. Deswegen kann es nicht bei diesem Blick auf Diversität und unterschiedliche Identitäten bleiben, erst recht nicht in einem Kommunikationsberuf. Wir müssen von morgens bis abends an unser Publikum denken. Nicht in einer populistischen Form. Aber wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Menschen erreichen können, auch in ihrer Vielfalt. Ich bin fest davon überzeugt, dass uns viele Stimmen im Programm fehlen. Nicht, weil sie politisch nicht erwünscht sind, sondern weil es viele Menschen gibt, die sich nicht trauen, sich zu äußern. Das meint aber keine radikalen Stimmen, sondern viel differenziertere Stimmen. Wir bekommen das gerade bei Corona ein bisschen mit: Wenn man da mal in die Krankenhäuser reinhört, mit den Ärzten und dem Pflegepersonal spricht, erlebt man auf einmal eine Welt, die wir vor Corona überhaupt nicht wahrgenommen haben. Das sind Stimmen, die in unseren Programmen zu selten aufgetaucht sind.

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