Internet : Wie bei Wikipedia manipuliert wird
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Unter den Manipulateuren: der Sender Al Dschazira Bild: REUTERS
Unternehmen und Behörden versuchen, im Internet-Lexikon Wikipedia missliebige Fakten zu tilgen. Das deckt nun ein neues Instrument auf, das ein Student entwickelt hat: Es erlaubt, die Internetadressen der Manipulateure nachzuverfolgen.
Angesichts immens wachsender Nutzerzahlen wird dem Internetnachschlagewerk Wikipedia inzwischen vielfach die Funktion eines globalen Leitmediums zugeschrieben. Mit dem Bedeutungszuwachs der Enzyklopädie steigt die Versuchung, im freien Spiel der editierenden Kräfte das eigene Image aufzubessern. Die Wikipedia-Software ermöglichte bisher die anonyme Autorenschaft und Veränderung der Texte. Wer als Beiträger unkenntlich bleiben wollte, durfte dies. Im Vertrauen auf ihre Unsichtbarkeit machten sich nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen und Institutionen daran, missliebige Fakten im eigenen Eintrag gegen wohlklingendere Informationen auszutauschen. Das deckt nun ein neues Instrument auf, das der amerikanische Student Virgil Griffith entwickelt hat. Es erlaubt, die Internetadressen der Manipulateure nachzuverfolgen.
Zutage kam bei der Überprüfung mit dem neuen „Wikiscanner“ ein eklatantes, doch nicht unbedingt erstaunliches Maß an freier Textveränderung im Eigensinn der Redigatoren. Wikipedia hat es selbst auf den betroffenen Seiten veröffentlicht. Der amerikanische Geheimdienst CIA etwa stellte dem Artikel des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadineschad ein ironisches „Ouaaah“ voran. Rechner aus dem Vatikan veränderten den Eintrag von Gerry Adams, dem Führer der irischen Sinn-Fein-Partei, und tilgten die mögliche Verstrickung Adams' in Terroranschläge der IRA. Im Gegenzug schrieb die American Civil Liberties Union Papst Benedikt XVI. zu, für sexuelle Belästigung von Minderjährigen verantwortlich zu sein.
Al Dschazira als Manipulateur
Der Lebensmittelkonzern Wal Mart widersprach der Behauptung, seine Beschäftigten deutlich unter handelsüblichem Niveau zu entlohnen. Das FBI entfernte Luftaufnahmen von Guantánamo, mit deren Hilfe Kritiker das brutale Vorgehen der Vereinigten Staaten belegt hatten. Der Erdölkonzern Exxon verharmloste die ökologischen Schäden des Tankerunglücks der Exxon Valdez im Jahr 1989. Besonders drastisch fällt der Eingriff des arabischen Nachrichtensenders Al Dschazira in den Artikel über Israel aus: Die Juden hätten den Einwohnern Palästinas das gleiche Leid zugefügt wie Hitler ihnen, behauptet die von Al Dschazira manipulierte Variante. Eine Überarbeitung des Beitrags über das Antidepressivum Seroquel durch den Produzenten Astra Zeneca entfernte den Hinweis auf das mögliche Auftreten von Selbstmordgedanken.
Die wenigen Unternehmen, die bisher zu dem Vorwurf bewusster Falschdarstellung Stellung genommen haben, berufen sich darauf, dass es unmöglich sei, mit dem neuen Recherchemittel auch die Personen zu identifizieren, von denen der Betrug ausgegangen sei. Eine offensivere Verteidigungsvariante wählte der CIA gegenüber der BBC: Man wolle auf einen weitaus wichtigeren Punkt als den Manipulationsvorwurf hinweisen, hieß es: „Die CIA hat die bedeutsame Aufgabe, die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu gewährleisten.“ Angesichts des neuen Überwachungsmittels werden es fortan wohl eher die minimalen ideologischen als die faktischen Korrekturen sein, die Wikipedia Probleme bereiten werden.