TV-Krimi „In Wahrheit“ beim ZDF : Immer nur Pech
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Kathrin Brandmann (Bernadette Heerwagen, links) hat einen schrecklichen Verdacht, wer ihren Sohn getötet haben könnte. Können die Kommissare Judith Mohn (Christina Hecke, rechts) und Freddy Breyer (Robin Sondermann) sie zum Reden bewegen? Bild: ZDF
Still ruht der Anstand: In der ZDF-Sozialkrimi-Reihe „In Wahrheit“ muss Kommissarin Judith Mohn ein Muttertrauma überwinden. Dabei wird es psychologisch recht finster.
Beginnen wir mit einem Indizienprozess: Wenn ein wohlhabender Krimisender, sagen wir: das ZDF, einen mittelprächtig gelaufenen und von der Kritik für lauwarm befundenen Mörderüberführungsfilm (höchstes Lob: „mätzchenfrei“) zu einer – weiteren – Reihe ausbauen lässt, dann aber zwischen den Episoden mehr als ein Jahr verstreichen lässt, spricht einiges dafür, dass man in der öffentlich-rechtlichen Polizeidienststelle auf dem Lerchenberg auf diese Reihe, die im lieblich bewaldeten, seit einiger Zeit irritierend präsenten Saarland spielt, wohl nicht allzu viel gibt. Warum „In Wahrheit“ fortgesetzt werden musste, weiß nur das ZDF. Es mag an einer Opt-out-Haltung liegen: Was an noch so schläfrigen Krimivorstößen nicht proaktiv niedergekämpft wird, wächst sich bei deutschen Sendern eben gottgegeben zur Serie aus.
Nach einem Zwischen-Fall in der Regie von Matthias Tiefenbacher kehrt mit Miguel Alexandre der Erfinder von „In Wahrheit“ zurück, schultert wie im Piloten Regie, Kamera und Buch (bei Letzterem hatte er wieder Hilfe von „Tatort“-Profi Harald Göckeritz) und scheint uns beweisen zu wollen, dass er sehr wohl ein paar Mätzchen draufhat, auch im Hinblick auf die erfreulich normale Kommissarin Judith Mohn (Christina Hecke). Diesmal muss die Protagonistin ein geradezu stupides Muttertrauma überwinden, Sätze aus der Drehbuchhölle sagen („Die Frau vom Oberboss anmachen, wie irrational ist das denn?“) und als taffe Getto-Aufsteigerin herhalten – wobei ein „Getto“ in Saarlouis nach einer hübschen Arbeiterhäuser-Siedlung am See aussieht, die in anderen Städten schwer begehrt wäre.
Die Jugendsprache klingt nach Sockenpuppentheater
Mohns großbürgerlich aufgewachsener Kollege Freddy (Robin Sondermann) wähnt sich dennoch in Chicago, und fürwahr, da lungert eine Jugendgang herum. Der Bandenchef (Karim Günes) dealt, kein Witz, mit roten Turnschuhen. Und das tut er nicht nur just in der Gegend, in der die Ermittlerin aufgewachsen ist und wo ihre fernseh- und lottosüchtige, von der eigenen Larmoyanz überrascht wirkende Mutter haust, sondern auch unter aktiver Mithilfe des bis zum Proll-Kettchen vorzeigekleinkriminellen Cousins der Kommissarin (Antonio Wannek).
Inoffiziell unterstützt werden die Polizisten abermals durch einen zur Vaterfigur stilisierten Ermittler im Ruhestand (Rudolf Kowalski), der ebenfalls persönlich involviert ist. Dramatik erhält der Plot, als ein gesuchter Sechzehnjähriger ertrunken aufgefunden wird. Die Turnschuh-Clique beobachtet die Szene feixend. Dass Alexandre für das Charakterisieren selbstverliebter Heranwachsender kein Händchen hat, zeigt sich in jeder zweiten Einstellung. Allein die Jugendsprache klingt nach Sockenpuppentheater: „Ey, da kommt sein Alter.“ – „Wir müssen das ganze Zeug heute Nacht hier rausschaffen, Alter, jetzt wo die Bullen rumschnüffeln, die Wichser.“ Ebenso unglaubwürdig wie der auftrumpfende Muskelshirt-Boss und sein rotziger Gehilfe Number Six (Rafael Gareisen) ist deren klischeehafte Gegenfigur, der sensible und gemobbte Lukas (Matti Schmidt-Schaller).
In Sachen Geschlechterbild unterscheidet sich das Saarland offenbar unwesentlich von Afghanistan, suggeriert der Film. Die angeflanschten Nebenhandlungen – Flirts, Angelwitze und Sozialkritikromantik – sind dermaßen müde, dass es Disziplin kostet, die Auflösung nicht zu verschlafen: Viel verpasst hätte man nicht, denn hier wird es psychologisch besonders finster. Und wenn schon verwahrloste Jugendliche, sollten sie nicht rüberkommen wie Gymnasiasten, die zum Spaß Gangster imitieren. Die tragische Dialektik von Außenseitertum und Gruppendynamik wirkt hier nur behauptet. In anderer Hinsicht peinlich ist es, dass laut Abspann eine große Autofirma „Produktionshilfe“ geleistet hat, was die komplett meschugge Szene erklärt, in der ein Mädchen eine Lobeshymne auf die glänzend ins Bild gesetzte Limousine der Kommissarin, der eigentlichen Oberbossin im Viertel, aufsagt. Still ruht der Anstand. Man kann sich vorstellen, was Mohns fernsehsüchtige Mutter denken würde, sähe sie diesen ideenfreien Film: Wieder Pech gehabt. Immer nur Pech.
In Wahrheit: Still ruht der See läuft heute Abend um 20.15 Uhr im ZDF.