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Chats bei Telegram : Mordaufrufe hundertfach

Mitte Dezember in Dresden: Polizisten führen nach Morddrohungen gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) einen Tatverdächtigen ab. Bild: dpa

Die Redaktion von „tagesschau.de“ hat Chats bei Telegram untersucht. Sie findet Aufrufe zu Gewalt. Sie richten sich gegen Politiker, Wissenschaftler und Journalisten. Die Liste der Bedrohten beginnt bei Bundeskanzler Olaf Scholz.

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          Morddrohungen auf Telegram, wie sie gegen die Ministerpräsidenten Manuela Schwesig (SPD) und Michael Kretschmer (CDU) ausgestoßen wurden, sind kein Einzelfall. Sie finden sich dort hundertfach, wie eine Recherche der Redaktion von „tagesschau.de“ ergibt. Sie fördert zutage, dass es in geheimen und offenen Telegram-Chatgruppen seit Mitte November täglich Tötungsaufrufe gibt – gegen Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Medizin, Behörden und Medien.

          Spitze des Eisbergs

          Michael Hanfeld
          verantwortlicher Redakteur für Feuilleton Online und „Medien“.

          Zwischen dem 1. November und dem 31. Dezember 2021 hat „tagesschau.de“ mehr als 250 Tötungsaufrufe gefunden. Dies sei jedoch „nur die Spitze des Eisbergs“, da sich Telegram nicht komplett durchsuchen lasse, sondern nur die Kanäle und Chats, bei denen man selbst angemeldet sei. Für die meisten Chatgruppen braucht es eine Einladung.

          Die Tötungsaufrufe fanden sich in geheimen und in offenen Chatgruppen, oft würden sie sogar unter mutmaßlich richtigen Namen veröffentlicht. Widerspruch habe sich fast nie gefunden. Über den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer habe es geheißen: „Kretschmer und seine Söldner“ (gemeint ist die Polizei), „gehören Hingerichtet [sic!] wegen Hochverrat an das Volk!!“ Ein User habe gefragt, ob er den Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) „abknallen“ dürfe. Aufrufe zu Gewalt richten sich auch gegen den Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), CDU-Chef Friedrich Merz, den ehemaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und den amtierenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

          Ein Telegram-Chat, in dem angeblich Soldaten und Reservisten vertreten sind, so „tagesschau.de“, falle durch häufige Tötungsaufrufe auf. Dies zeige, dass der bekannt gewordene Aufruf des Gebirgsjägers Andreas O. kein Einzelfall sei. In der „Soldaten & Reservisten“-Gruppe auf Telegram heiße es beispielsweise über die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): „Die Alte gehört abgeknallt.“

          Aufforderung an Faeser

          Gegen Medien werden ebenfalls Drohungen ausgestoßen. Eine mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Wissenschaftsjournalistin ist davon betroffen. In einem Chat heiße es: „Vielleicht sollten wir wirklich die ARD und das ZDF abfackeln um ihre Medienpropaganda Maschine kaputt zu machen.“ Ein anderer Nutzer fragte „Warum brennen die Medien noch nicht, ich meine die Gebäuden […] wo der dreck ausgestrahlt wird?“

          Der von „tagesschau.de“ dazu befragte Politikwissenschaftler Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMas) hält die Mordaufrufe für gefährlich. „Menschen mit einem verschwörungsideologischen Weltbild“ seien „eher gewillt, Gewalt einzusetzen“, das wisse man aus der Forschung schon seit Jahren.

          Der Deutsche Journalisten-Verband hat die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) aufgefordert, „hart und entschlossen“ gegen die Absender von Mord- und Gewaltaufrufen bei Telegram vorzugehen. „Wir Journalistinnen und Journalisten erleben die Anfeindungen aus dem Lager von Impfgegnern und Coronaleugnern tagtäglich“, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Die Mordaufrufe zeigten, dass der Hass auf Journalisten keine Grenzen mehr kenne. Die neue Innenministerin habe bei ihrem Amtsantritt ein entschlossenes Vorgehen gegen den Extremismus angekündigt. Nun gelte: „Frau Faeser, lassen Sie den Worten Taten folgen. Die Lage ist ernst.“

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