TV-Kritik: Hart aber fair : Ostdeutsche Putin-Erklärer?
- -Aktualisiert am
"Hart aber fair": Antje Hermenau, Henry Maske, Jessy Wellmer, Ralf Fücks, Stefan Creuzberger, Frank Plasberg (v. l. n. r.) Bild: WDR/Dirk Bohm
Haben „die Ostdeutschen“ eine größere mentale Nähe zu Russland und bewerten deshalb den Ukrainekrieg anders? Bei „Hart aber fair“ brechen solche Vorurteile erfreulich schnell zusammen. Doch wichtige Fragen bleiben ungestellt.
Stellen wir uns einmal vor, das öffentlich-rechtliche Fernsehen machte sich die Mühe einer Reportage samt anschließender Talkshow zum Thema „China, Olaf Scholz und wir Norddeutschen“ oder „Amerika, der Klimawandel, die Automobilindustrie und wir Westdeutschen“. Eine Mehrheit der Zuschauer würde das als befremdlich, lächerlich oder gar herabwürdigend empfinden. Dennoch kann in diesem Fall die ARD nicht von der Themensetzung „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“ lassen.
Die Kopplung der Reportage von Jessy Wellmer mit einer Ausgabe von „Hart aber fair“ folgt dem eingeübten Muster, der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft „die Ostdeutschen“ als Normabweichler vorzuführen und zu erklären. Auch wenn der Anspruch des „Erklärens“ hier hinter dem Versuch des „Zuhörens“ und „Verstehens“ verbrämt wird, auch wenn das inzwischen peinliche „die Ostdeutschen“ im Titel durch „wir Ostdeutsche“ merklich abgemildert wurde: Das Thema ist gesetzt, weil eine mentale Dissonanz irgendwie aufgelöst werden muss; bliebe sie stehen, wäre sie für „die Nicht-Ostdeutschen“ beunruhigend. Öffentlich-rechtliches Fernsehen bleibt in diesem Fall wieder Westfernsehen. Wer „ARD“ sagt, muss auch „BRD“ sagen, und das meint Trizonesien.
Frank Plasberg, der die Diskussionen um die mediale Unterrepräsentierung ostdeutscher Themen in den Medien und die quasi-kolonialistische Art ihrer Abhandlung ernst nimmt, ist das Thema und die Runde im Studio auch nicht ganz geheuer. Selbstkritisch fragt er: „Haben wir was falsch gemacht? Gab es hier zu viele Ameisenforscher, die sich über die Menschen im Osten gebeugt haben?“ Er muss die Frage nicht beantworten, weshalb der Mut, sie zu stellen, gratis ist. Aber auch jeder in der Runde – die Politikberaterin Antje Hermenau, der ehemalige Boxweltmeister Henry Maske, die Journalistin Jessy Wellmer, der Publizist Ralf Fücks und der Soziologe Stefan Creuzberger – beeilt sich zu sagen, dass es „die Ostdeutschen“ gar nicht gebe, dass die unterschiedlichen Generationen in ein und derselben Familie ganz verschiedene Auffassungen haben und dass sich die mentalen Prägungen durch den Kalten Krieg mit der jetzigen Studentengeneration – so Creuzberger – längst erledigen würden.
Wut vererbt sich
Es spricht für Jessy Wellmer, dass sie diese schnellen Ausflüchte in den Konsens nicht zulässt. Es gäbe in den neuen Bundesländern genug Jugendliche, die den Schmerz, die Wunden, die Gekränktheit und die Wut ihrer Eltern übernähmen. Diese ehrliche Beobachtung gibt dem Schluss ihrer eigenen Reportage, in der sie sich als Kind des wiedervereinten Deutschlands beschreibt, das die Verbitterung der Elterngeneration nicht erben möchte, ein anderes Gewicht. Denn Wellmer – aus Güstrow in Mecklenburg stammend – kennt diese Wut, diese Verbitterung, diese Gekränktheit von Menschen, die ihr nahestehen.
Doch was ist eigentlich das Thema der Reportage und der Talkshow? Vorgeblich, dass „die Ostdeutschen“ den Krieg Russlands gegen die Ukraine anders beurteilen als „die Westdeutschen“ und eher dazu neigen, Erklärungen für Putins Aggression in politischen Provokationen „des Westens“ zu suchen und für eine Milderung bis Absetzung der Wirtschaftssanktionen eintreten. Doch weder die Reportage selbst noch die im Zusammenhang mit ihr veranstalteten Umfragen bestätigen diese These. Darauf weist Henry Maske aufmerksam hin. Lediglich 35 Prozent der befragten Ostdeutschen – wie repräsentativ diese Gruppe auch immer sein mag – gehen die derzeitigen Sanktionen gegen Russland zu weit. Das ist ein reichliches Drittel, sagt Maske, also keineswegs die Mehrheit, wo Wellmer ihm sofort beipflichten muss. Und auch die unterstellte größere mentale Nähe der Ostdeutschen zu Russland aufgrund der sowjetischen Quasi-Okkupation, welche die Reportage durch Medien-Bilder der DDR-Staatspropaganda zu belegen sucht, bricht in der Diskussion in sich zusammen.