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TV-Kritik „Hart aber fair“ : Marsch, marsch, durch die Institutionen!

Aimée van Baalen, Aktivistin und Sprecherin der „Letzten Generation“ und ARD-Meteorologe Sven Plöger Bild: WDR/Oliver Ziebe

Warum der Apokalypse so läppisch begegnen? Die Sprecherin der „Letzten Generation“ hat bei „Hart aber fair“ einen schweren Stand. Bürgerkunde ist nicht die Stärke des Klimaaktivismus.

          3 Min.

          Also, diese Sendung hat den Ruf von „Hart aber fair“ jedenfalls nicht ruiniert, was auch immer mit diesem Ruf verbunden sein mag. Ruhe bewahren im WDR-Rundfunkrat: Dass der neue Moderator Louis Klamroth eine private Verbindung zu der Klimaaktivistin Luisa Neubauer unterhält, führt eher überkompensatorisch dazu, dass der Klimaaktivismus bei „Hart aber fair“ besonders kritisch beleuchtet wird. So ließ es sich am Montag bei der Ausgabe „Letzte Abfahrt: Wie verändert die Klima-Krise Alltag und Leben?“ besichtigen.

          Christian Geyer-Hindemith
          Redakteur im Feuilleton.

          Aimée van Baalen, Sprecherin der „Letzten Generation“, wurde nicht geschont, sondern beinahe schon vorgeführt, was die Schlichtheit mancher Vorstellungen von Rechtsstaat und parlamentarischer Demokratie angeht. Sie kündigte an, vom 6. Februar an die Proteste auf ganz Deutschland auszuweiten, womöglich „in jede Stadt, in jedes Dorf“.

          Klamroth ging van Baalen hart an: Die Klimaaktivistin baue „ein apokalyptisches Szenario“ auf, um dann „ein läppisches Tempolimit, ein billiges Zugticket und einen runden Tisch“ dagegenzusetzen. Wie „diese läppischen Forderungen mit dem Untergangsszenario“ zusammenpassen, „das Sie jeden Tag beschwören“, wollte der Moderator von der Sprecherin wissen.

          Das war der Tenor der Kritik, der Aggressivität auch, die die Vertreterin der „Letzten Generation“ auf sich zog. Van Baalens Vorstellungen zu den von Experten begleiteten Bürgerräten, die in monatelangen Gesprächen darüber befinden sollen, was gegen den „Klimanotfall“ zu tun ist, welche Maßnahmen umzusetzen sind, kamen ohne Basiswissen der Bürgerkunde aus.

          Konstantin Kuhle (FDP) und Gitta Connemann (CDU)
          Konstantin Kuhle (FDP) und Gitta Connemann (CDU) : Bild: WDR/Oliver Ziebe

          Das hielten ihr auf die eine oder andere Weise die anderen Gäste vor: Gitta Connemann, Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Konstantin Kuhle, stellvertretender FDP-Fraktionsvorsitzender sowie Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie. Deutschland müsse im Emissionshandel ein Vorbild für die Welt werden, insbesondere für China, Indien und Afrika, wo der Klimaschutz keine vergleichbare Rolle spiele. Nur so werde man dem Klimanotfall als einem globalen Problem gerecht.

          Meteorologe Plöger wagt keine Prognose

          Und auch der um Vermittlung bemühte Meteorologe Sven Plöger wollte dann doch eher auf neue Technologien setzen als aufs Festkleben, auf Sachbeschädigung und Verkehrsbehinderung. Er riet den Klimaaktivisten zum Marsch durch die Institutionen statt zu Gesetzesbrüchen, mit denen man sich nur Sympathien verscherze, auch wenn er – wie es inzwischen zum rhetorischen Ritual beim Blick auf die „Letzte Generation“ gehört – „Verständnis“ bekundete, weil ja im Hintergrund die „Verzweiflung“ stehe.

          Als lasse die höhere Moral der Verzweiflung den Rechtsbruch anders aussehen, als wenn bloß nüchternes Kalkül dahintersteht. Und ist nicht überhaupt der Rechtsbruch als solcher auch eine moralische Frage? Nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt, dass für mich, für meine Zwecke nicht gelten soll, was für die Zwecke der anderen gilt? So weit wollte Plöger die moralische Wetterprognose dann doch nicht treiben.

          Leider wurde die Wirkungsforschung zu Protestformen des zivilen Ungehorsams nicht entfaltet (van Baalen sprach irgendwie neben der juristischen Sache nur vom zivilen Widerstand), sodass man in dieser Hinsicht einzig auf die große Stellwand angewiesen blieb, auf der in übergroßen Buchstaben ein jüngstes Umfrageergebnis von Infratest dimap abgebildet war.

          Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, mit Moderator Louis Klamroth
          Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, mit Moderator Louis Klamroth : Bild: WDR/Oliver Ziebe

          Demnach halten es 84 Prozent der Deutschen für nicht gerechtfertigt, zeitweise Straßen und Verkehr zu blockieren. Doch was genau sagt das aus zur Sensibilisierung fürs Klima-Thema, die ja auch paradoxe Verläufe nehmen kann, im Kleingedruckten gewissermaßen? Sodass in einer Hinsicht für richtig gehalten werden kann, was in anderer Hinsicht als nicht gerechtfertigt erscheint. Eine Stellwand spricht da nicht für sich selbst.

          Soziologisch ist es ein gut belegter Befund, dass nicht nur Konsens, sondern auch Dissens verbindet. Akzeptanz kennt Umwege, die auszuloten sich gelohnt hätte und die jedenfalls nicht mit einem isolierten Umfrageergebnis abgebildet werden. Weder der Moderator noch die Klimaaktivistin stiegen hier tiefer ein. Dabei gibt es zur Protestform des zivilen Ungehorsams einen dichten Forschungsstand nicht nur rechtlicher Natur, sondern eben auch im Blick auf soziologische und sozialpsychologische Fragen.

          Sie blieben in der Sendung ausgeblendet; doch das lässt sich unter den Eindimensionalitäten verbuchen, die zu den eng geschnittenen Kontexten solcher Diskursformate gehören. Es gibt Fragen, die sich entweder ganz oder gar nicht aufklären lassen. Ein bisschen Aufklärung, bei der die Erkenntnisbedingungen verdeckt bleiben, wirkt dann umso verzerrender, je stärker der Eindruck, man wisse nun etwas.

          So viel zum Ruf von „Hart aber fair“, der ja nicht etwa so ehern tadellos ist, dass er von Louis Klamroth nicht verbessert werden könnte. Mit anderen Worten: Es käme darauf an, an der richtigen Stelle um diesen Ruf besorgt zu sein, nicht an der falschen.

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