TV-Kritik „Hart aber fair“ : Hört auf diese Frau
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Brigitte Büscher steuerte, auf Kosten der ohnehin selten sonderlich erhellenden Online-Kommentare zuschauerseits, einen eigenen Film bei: ein zunächst etwas herausgegriffen wirkendes, dann aber triftiges Porträt des tapfer-gelassen zwischen Berlin und der Westukraine pendelnden Getreidebauern Markus Schütte, der seinen Posten in Europas „Kornkammer“ erst räumen will, wenn Putin auch dort alles platt macht und das von Exportstopps und Lieferkettenlücken ohnehin schon bedrohte Getreide vollends verrottet und nirgends mehr hingeliefert werden kann, weder zum Bäckermeister Hinkelmann noch nach Afrika.
Als Zuschauer hatte man zunächst mit einer gewissen Erleichterung gedacht: Ah, endlich geht es mal nicht um den Krieg! Nun, die Konfrontation mit extrem steigenden Lebenshaltungskosten (Energie, Kraftstoff, Nahrungs- und nicht zu knapp vor allem Grundnahrungsmittel) und die Aussichten, die sich daraus für die weniger Betuchten ergeben, waren und sind bedrückend genug. Es sind aber auch verflixte Zeiten – immer noch Corona, Energiewende und der Krieg.
Anja Kohl hatte auch in der finalen Analyse das beste Ende für sich. Anfangs hatte FDP-Mann Dürr staatsmännisch versichert, sollte sich herausstellen, dass Konzerne (Energie, Nahrung) die zusätzliche, von Putin frei Haus gelieferte Krise nutzen sollten, um ihre Produkte teurer zu machen und sich dabei auch noch absprechen, dann werde das Kartellamt schon eingreifen.
Keine Hoffnung aufs Kartellamt
Kohl erlaubte sich den eisigen Hinweis, das Kartellamt werde auch bei den Nahrungsmitteln das tun, was es beim Rohöl schon getan habe, nämlich nichts, und riet ganz allgemein der Politik, die Lebensmittelinflation „extrem ernst“ zu nehmen und als erstes die Mehrwertsteuer für Nahrung auszusetzen. Was wir jetzt erlebten, sei mit den Inflationen der siebziger, achtziger und neunziger Jahre nicht zu vergleichen; die Wertschöpfungskette sei „extrem fragil“.
Es blieb nicht aus, dass die notorischen Thesen des notorischen Hans-Werner Sinn eingeblendet wurden. Er befürchtet hauptsächlich eine „Lohn-Preis-Spirale“, Betonung natürlich auf „Lohn“, will sagen: Zurückhaltung bei den Gehaltsrunden. Die ewige Leier.
Anja Kohl griff dagegen das System an: In Gestalt der Discounter und Konzerne sei in der Lebensmittelproduktion ein „Oligopol“ am Werk, dem müsse man das Handwerk legen. Plasberg bekam es schon mit der Angst zu tun: Das klinge ja nach Enteignung. Enteignen müsse man nicht gleich, sagte Kohl, aber den Konzernen auf die Finger sehen. „Bürger auf die Barrikaden!“, rief vor bald 20 Jahren, am eigentlichen Beginn dessen, was wir unter „Neoliberalismus“ verstehen, der Historiker Arnulf Baring, souffliert von Hans D. Barbier.
Man wollte so wenig Staat wie möglich, wirtschaftlich am liebsten überhaupt keinen. Anja Kohl machte begreiflich, warum das heute erst recht keine gute Idee ist.