Neues Kartell-Gutachten : Wie ARD und ZDF den Markt verzerren
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ARD und ZDF produzieren - aber mit wem? Die Allianz unabhängiger Filmdienstleister übt deutliche Kritik. Bild: dpa
Das Kartellamt ermittelt gegen die Produktionsfirma Bavaria, die öffentlich-rechtlichen Sendern gehört. Der Verdacht: abgesprochene Preise. Nun wartet ein Gutachten mit neuen Vorwürfen auf.
Seit das Bundeskartellamt Anfang Juli die Bavaria-Studios in München und in Berlin-Adlershof wegen des Verdachts unlauterer Preisabsprachen von der Polizei durchsuchen ließ, ist eine ganze Branche in gespannter Erwartung. Auf der einen Seite stehen die öffentlich-rechtlichen Sender, deren private Tochterfirmen den Produktionsmarkt zunehmend beherrschen, auf der anderen Seite unabhängige Produzenten und Dienstleister, die teils verzweifelt um ihre Existenz kämpfen. Bislang litten sie im Verborgenen – weil sie von den Öffentlich-Rechtlichen abhängig sind, wagte sich kaum jemand aus der Deckung.
Doch das hat sich mit den Ermittlungen des Kartellamts geändert. Und nun legt die „Allianz unabhängiger Filmdienstleister“ (AUF), der 24 Firmen angehören, ein Gutachten des Kartellrechtlers Rupprecht Podszun von der Universität Bayreuth vor, das massive Wettbewerbsverzerrungen durch Tochterfirmen von ARD und ZDF umfassend bestätigt. Die Anstalten und ihre Töchter seien „marktbeherrschend“ oder zumindest „marktmächtig“. Sie kalkulierten Preise, die „nicht marktkonform“ seien. Die quersubventionierten Preise der Tochterfirmen gälten bei der Vergabe von Aufträgen als Referenz. Gerade bei Aufträgen zu Fernseh-Produktionen würden diese massiv bevorzugt. Dies stelle „eine missbräuchliche Behinderung des Wettbewerbs“ dar, man könne dies als „unzulässige Absprachen“ werten.
Private werden verdrängt
Podszun kommt zu dem Schluss, „dass letztlich staatlich abgesicherte Unternehmen expandieren, während private Unternehmen aus dem Markt gedrängt werden“. Das Bundeskartellamt habe allen Grund einzuschreiten. Mit diesem Befund wollen die in der AUF organisierten Produktionsdienstleister in einem offenen Brief an die Sender herantreten.
Podszuns Expertise dürfte beim Kartellamt durchaus Gehör finden. Von 2005 bis 2007 war er selbst Referent im Bundeskartellamt, er beriet osteuropäische Behörden bei der Einführung des EU-Kartellrechts und wird von den Regierungsfraktionen im Bundestag bei Fragen des Medienkartellrechts konsultiert.
Wie sieht Podszuns Befund im Einzelnen aus? Stand 2015, schreibt er, sei die Bavaria Studios & Production Services GmbH (BSPS) der größte Anbieter von Produktionsdienstleistungen auf dem hiesigen Markt. Zu ihr gehören die Cine-Mobil GmbH und die De facto Motion GmbH. Die Bavaria Studio & Production selbst gehört zu 62,4 Prozent der Bavaria Film GmbH, die übrigen Anteile halten mit 24,1 Prozent das ZDF und mit 12,5 Prozent die LfA Förderbank Bayern. Die Bavaria wiederum ist hundertprozentige Tochter von BR, MDR, SWR, WDR und LfA Förderbank Bayern. Die Bavaria Film Group erwirtschaftete 2013/2014 einen Umsatz von 198 Millionen Euro.
Wieder geht es um die Bavaria
Die Dienstleistungstochter der Bavaria habe in den vergangenen Jahren zahlreiche Unternehmen der Branche übernommen – wohl unterhalb der fusionskontrollrechtlichen Anmeldeschwelle, vermutet Podszun –: die Studio Hamburg Filmtechnik, die Cine Mobil und Cine Equipment. Drei „besonders problematische Verhaltensweisen“, schildert Podszun, die dazu führten, dass „Konkurrenten der Bavaria Film Gruppe aus dem Markt gedrängt werden: interne Vergabe, Preisreferenzsystem und Preisspaltung“. Podszun liegen Aussagen von Herstellungsleitern und Produzenten einer Serie vor, denen zufolge es eine „Konzern-Ansage“ gebe und sie gehalten seien, bei allen Projekten mit Bavaria-Töchtern zusammenzuarbeiten. So fliegen unabhängige Dienstleister aus dem Wettbewerb.
Die Auftragsvergabe innerhalb des Gesamtkonzerns, schreibt Podszun, sei „wegen der wechselseitigen Gewinnbeteiligungsverhältnisse besonders attraktiv“. Die Gewinne flössen letztlich an den Sender und die Bavaria zurück. „Die Gebühren der öffentlich-rechtlichen Sender werden also in Tochterunternehmen geschleust und im Zweifel im Rahmen von Gewinn- und Ergebnisabführungsverträgen wieder an die Sender zurück ausgeschüttet.“ Podszun verdeutlicht das am Beispiel der fünf bis sechs SWR-„Tatorte“ im Jahr, die an die Tochterfirma Maran vergeben werden, die wiederum die Rental- und Postproduktionsdienstleistungen der Bavaria Filmtöchter in Anspruch nehme, an denen wiederum der SWR beteiligt ist. Maran und Bavaria-Film führten ihre Gewinne letztlich an den SWR ab.
Gebe ein öffentlich-rechtlicher Sender doch den Auftrag an eine unabhängige Produktionsfirma, werde das gern an die Bedingung gekoppelt, dass abhängige Tochtergesellschaften mit den Dienstleistungen, die der Produzent braucht, beauftragt werden. Für externe Dienstleister gälten derweil als Preismarge die subventionierten Referenzwerte der Bavaria. Ein Unabhängiger arbeite so „quasi unter dem Preisdiktat der Bavaria-Gruppe“. Das nenne man „Preisspaltung“.
Dass dies bislang weitgehend unbeanstandet blieb, liege an einem „Kontrollvakuum“. Die Rechnungshöfe prüften allein die Wirtschaftlichkeit der Sender und ihrer Töchter, nicht aber, wie die Preise im Einzelnen zustande kämen. So bleibe der „Missbrauch von Marktmacht“ unbeanstandet – und so sei das Bundeskartellamt gefragt. Bei einer ähnlichen Konstellation seien die Kartellwächter bei der Rekommunalisierung der Energienetze gegen Gemeinden vorgegangen, die ihre Tochtergesellschaften bevorzugen wollten.
Offener Brief an die Sender
Angesichts dieser gravierenden Vorwürfe gibt sich der Verband AUF moderat. Das „Wettbewerbsprinzip, das die Effizienz und Innovationskraft der dynamischen Filmbranche garantiere“, werde „ein Stück weit von öffentlich-rechtlichen Anstalten außer Kraft gesetzt“, heißt es da. Dies werde man in besagtem offenen Brief formulieren, um „mit konstruktiven Vorschlägen ein Umdenken der Senderpolitik zu fordern“.
Vielleicht hilft den Senderverantwortlichen ja beim Nachdenken das Wissen, dass Podszuns brisantes Gutachten von sofort an beim Bundeskartellamt liegt. Inklusive der Empfehlung, ein Pilotverfahren gegen die Bavaria Film GmbH einzuleiten samt den mit dieser verbundenen Unternehmen. Der Kartellamtssprecher Kay Weidner sagte auf Anfrage, man werde das Gutachten sehr genau lesen. „Aber das wird dann ein ganz neues Verfahren, ein Verwaltungsverfahren wegen Missbrauchs von Marktmacht. In dem bis jetzt laufenden Bußgeldverfahren geht es um Preisabsprachen.“ Das sei leichter zu ermitteln als der Missbrauch von Marktmacht.
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