Nachtrag zur Serie „Charite“ : Das Klischee der einfältigen Krankenschwester
- -Aktualisiert am
Fachgespräch? Ramona Kunze-Libnow (links) als Oberin Martha und Alicia von Rittberg als Ida in „Charité“. Bild: ARD/Nik Konietzny
Die ARD-Krankenhausserie „Charité“ kam beim Publikum gut an. Bevor es an die zweite Staffel angeht, sollten sich die Macher aber besinnen. Denn sie haben das Bild vom Pflegeberuf vollkommen verzerrt. Ein Gastbeitrag.
Die ARD-Serie „Charité“, die im April im ersten Programm lief, erfreute sich beim Publikum großer Beliebtheit. Mit etwa 25 Prozent Marktanteil nahmen viele Zuschauer – und nicht nur die älteren Semester unter ihnen – Anteil an den Geschehnissen in dem weltberühmt gewordenen Krankenhaus mit seinen Protagonisten. Was aus ärztlicher Sicht gut recherchiert sein mag, entpuppte sich für all jene, die sich gegenwärtig und auf historischem Gebiet mit Pflege befassen als unliebsame Überraschung: Die Darstellung des Pflegepersonals ist verheerend – nicht nur, weil sie den historischen Verhältnissen im 19. Jahrhundert widerspricht, sondern weil sie ein Bild von Pflege als unqualifiziert weiblicher Gabe fortschreibt, das zu keiner Zeit der Bedeutsamkeit pflegerischer Arbeit gerecht wird und Pflegenden bis heute schadet.
Im Mittelpunkt der Serie stehen die „großen Ärzte“ der Charité, so zum Beispiel Robert Koch, der Entdecker des Tuberkulose-Erregers. Was sich dem Zuschauer nicht erschließt, ist, dass zu dieser Zeit eine gute, fachgerechte Pflege, die hygienische Maßnahmen einschloss, die einzige wirkungsvolle Hilfe darstellte, die entscheidend für die Lebensdauer und -qualität von Tuberkulose-Kranken war.
Die Pflege half, Leben zu retten
Die medizinische Entdeckung des Erregers und die Experimente mit Tuberkulin zeigten zunächst keine direkten Wirkungen auf die Gesundheit der Patienten. Trotz allem werden ausschließlich ärztliches Können und der ärztliche Erfindergeist in den Vordergrund gerückt. Die Bedeutung von Pflege aber wird hier – wie in der ganzen Serie – systematisch unterschlagen, obwohl eine der Hauptrollen einer Pflegerin zufällt.
In der Charité der 1880er Jahre übernahmen unter anderem gut ausgebildete protestantische Diakonissen eine solch qualifizierte Pflege mit sehr differenzierten Tätigkeitsfeldern. Doch sie erscheinen im Film als aus der Zeit gefallene frömmelnde und inkompetente Krankenschwestern, obwohl sie tatsächlich zu den Pionierinnen einer systematischen Pflegeausbildung gehörten und noch zu dieser Zeit als am besten ausgebildet betrachtet werden dürfen.
Neben den konfessionellen Krankenschwestern gab es in der Regel nur weltliches Pflegepersonal ohne Ausbildung. In der Charité zeigten Versuche, mit einer eigenen 1832 eingerichteten Krankenwartschule qualifiziertes Pflegepersonal auszubilden, lange Zeit nur mäßigen Erfolg. Neben den im Haus ausgebildeten Lohnwärterinnen und -wärtern beschäftigte die Charité auch männliches Hilfspersonal, das für die körperlichen Arbeiten wie das Tragen und Umbetten der Kranken benötigt wurde. Nicht ausgebildete Lohnwärterinnen verrichteten hauptsächlich Hilfsarbeiten wie das Reinigen der Station. Der Film nimmt hingegen keinerlei Differenzierungen vor: Das ganze Personal jenseits der Diakonissen wird in einer Gruppe als moderne und kritische Frauen dargestellt, die mit ihren fortschrittlichen Ideen von den Diakonissen ausgebremst werden.
Eine der ärgerlichsten Figuren der Serie ist die weibliche Hauptperson Ida Lenze, die als Patientin in die Charité eingeliefert wird und nach ihrer Blinddarmoperation die Kosten für ihre Behandlung als Lohnwärterin abarbeiten muss. In die Pflege, die sie ohne Ausbildung leistet, scheint sie sich schnell einzufinden, obwohl sie kaum pflegerisch handelnd gezeigt wird. Damit wird die Botschaft vermittelt, dass Pflege eine weibliche Begabung ist, die keiner weiteren Ausbildung bedarf und kaum spezielle Fertigkeiten aufweist.
In den Augen der Ärzte avanciert Ida Lenze schnell zur besten Krankenschwester, da sie sich in kürzester Zeit medizinisches Wissen anliest, wenngleich ihre Teilnahme an medizinischen Vorlesungen nur von den „fortschrittlichen“ Ärzten geduldet wird. So erstaunt es auch nicht, dass sie sich in der Pflegearbeit unterfordert fühlt und ein Medizinstudium anstrebt. „Ich möchte den Menschen aber wirklich helfen und nicht nur pflegen“, verkündet sie in der fünften Folge. Im Krankenhaus – das lernt der Zuschauer sofort – kommt es offenbar nur auf Ärzte an. Diese Geringschätzung ihrer Qualifikation belastet Pflegende bis heute immens. Sie hat weitreichende Konsequenzen, etwa wenn aus ökonomischen Gründen qualifizierte Pflegekräfte durch ungelerntes Personal ersetzt werden.
Männliche Wärter treten in der Serie Charité an keiner Stelle auf, dabei war und ist Pflege bis heute mitnichten ein reiner Frauenberuf. Indem Pflege als rein weibliche Tätigkeit inszeniert wird, folgt die Serie einem Erzählmuster, das im deutschen Arztfilm der 1950er Jahre angelegt wurde: Arzt und Krankenschwester repräsentieren den Idealtypus einer hierarchischen Geschlechterordnung. Daran ändert auch der Plan von Ida Lenze, Medizin zu studieren, wenig, ist sie doch auf die paternalistische Unterstützung ihres ärztlichen Mentors angewiesen. Frauen, so lernen wir, sind eben ohne Männer hilflos.
Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass filmische Darstellungen die kollektive Wahrnehmung wesentlich prägen. Krankenhausserien sind keine belanglose Abendunterhaltung. Sie prägen das Bild von Pflege entscheidend. Die Serie Charité gibt sich zwar im Gewande des Bildungsfernsehens und hat sich dafür eigens eine Fachberatung für Medizingeschichte geleistet. Zwar war die pflegerische historische Realität insofern wichtig, als man sich im Archiv der Fliedner Kulturstiftung Diakonissentrachten als Vorbild für die Kostüme zeigen ließ. Es ist jedoch dringend geboten, bei einer historischen Darstellung, in der eine Pflegende die Hauptrolle spielt, eine Fachberatung durch Expertinnen und Experten der Pflegegeschichte einzuholen. Dies sei dem Filmteam bei der Vorbereitung der zweiten Staffel unbedingt angeraten.