Google löscht Künstler-Blog : Und dann ist alles weg
- -Aktualisiert am
Zensiert? Der Schriftsteller Dennis Cooper. Bild: Imago
Jahrelang schreibt der Schriftsteller Dennis Cooper einen Blog, darin auch einen kompletten Html-Roman. Doch dann löscht Google das gesamte Online-Tagebuch unwiederbringlich – damit auch die Freiheit der Kunst?
Der amerikanische Schriftsteller Dennis Cooper lebt in Paris und führt seit 2002 ein Online-Tagebuch auf der Website Blogger.com, einem Blog-Dienst von Google. Darin dokumentiert er seinen Schreibprozess und diskutiert mit Lesern. Der Blog beinhaltet auch eine Reihe von Gifs, kleinen animierten Grafiken, die sein letztes, online publiziertes Buch „Zac’s Haunted House“, einen „Html-Roman“, der fast ohne Wörter auskam, inspirierten. Beinahe täglich postet der Schriftsteller Neuigkeiten. Als Cooper am 27. Juni versuchte, seinen Blog aufzurufen, stellte er fest, dass Google, der Host, ihn samt E-Mail-Adresse gelöscht hatte. Alle Dokumente, die er auf dem Blog gespeichert hatte – Notizen, Ideen, Manuskripte –, waren verschwunden. Vierzehn Jahre Arbeit waren gelöscht. Ohne Vorwarnung.
Leser bekamen nur die dürftige Auskunft: „Es tut uns leid, das Blog denniscooper-theweaklings.blogspot.com wurde entfernt. Die Adresse ist für neue Blogs nicht mehr verfügbar.“ Cooper konnte sich auf die Löschung keinen Reim machen. Er versuchte Google telefonisch und per E-Mail zu erreichen, erhielt aber nur eine automatisierte Antwort, in der von einer „Verletzung der Nutzungsbedingungen“ die Rede war. Auch auf mehrmalige Nachfragen reagierte der Konzern nicht. Einen Monat später erhielt Cooper die offizielle Bestätigung, dass sein Blog gelöscht wurde.
Jugendschutz-Hinweis: Leser müssen über älter als achtzehn Jahre sein
Auf Facebook machte Cooper den Vorgang publik. Der Schriftsteller David Ehrenstein mutmaßte auf Coopers Facebook-Seite, Google könnte die Seite vom Netz genommen haben, weil sich jemand über Coopers anzügliche Escort-Serie beschwert habe. Cooper ist bekannt dafür, dass er das Sujet der Sexualität in seinen Grafiken aufgreift und recht freizügig interpretiert. Kritiker betrachten seine Werke als pornographisch. Für seine Escort-Serie bediente sich Cooper bei existierenden Profilen und Anzeigen von Escort-Seiten im Netz. Womöglich nahm daran ein Betroffener Anstoß. Das hätte Google freilich mitteilen können. Der Konzern hätte die inkriminierte Seite auch schon viel früher vom Netz nehmen können, weil Cooper schon seit Jahren derlei Inhalte postet. Er versah den Blog mit dem Jugendschutz-Hinweis, die Leser müssten älter als achtzehn Jahre sein.
Nicht alle von Coopers Inhalten sind verschwunden. Die Wayback Machine des Internet Archive, das Gedächtnis des Internets, hat ein paar Screenshots der Blogeinträge gespeichert, doch es sind nur Schnappschüsse, die den Blog nicht in seiner Gänze archivieren. Der Blog ist seltsamerweise auch aus dem Google-Cache verschwunden. Stuart Comer, Kurator des Museum of Modern Art und langjähriger Fan von Coopers Arbeiten, nannte dies einen Rückfall in die Kulturkriege der achtziger und neunziger Jahre. „Ich halte das für eindeutige Zensur“, sagte Comer im „Guardian“: „Das Problem ist, dass niemand den genauen Grund kennt. Sicher hat Dennis (Cooper) Bilder gepostet, die manche anstößig finden. “Dies sei ein weiterer Fall, in dem „bestimmte Mitglieder der Regierung oder irgendwelche Internet-Konglomerate entschieden haben, das Erschaffen von Kultur zu verhindern.“
Löschung findet in einer Black-Box statt
Ob Google eingegriffen hat oder ein technischer Fehler der Grund für die Löschung ist, bleibt unklar. Cooper hat einen auf den Schutz geistigen Eigentums spezialisierten Anwalt konsultiert, der eine Klage gegen den Konzern prüft. Weil Google aber ein privates Unternehmen ist, sind seine Publikationspflichten schwer zu bestimmen. Zur Politik des Konzerns zählt, Entscheidungen nicht nach außen transparent zu machen und zu verlautbaren. Das zeigt abermals das Verstörende an der Digitalmoderne: Das Geschäftsgebaren der Internetkonzerne, zu dem auch die ständige Modifikation von Facebooks Newsfeed-Algorithmen gehört, hat massive Implikationen, die in der politischen Sphäre diskutiert und geregelt werden müssen. Es geht hier nicht um eine Privatsache. De facto findet eine Löschung wie in Coopers Fall in einer Black Box statt. Betroffene wie Cooper können sich nur ratlos fragen, was eigentlich passiert.
Hierin zeigt sich zudem einmal mehr die Ambivalenz des Vergessens im digitalen Zeitalter. Google kann Dinge – wie Coopers schriftstellerische Arbeit – mit einem technischen Kniff vergessen machen. Das Recht auf Vergessen, das der Europäische Gerichtshof in einer vielumjubelten Entscheidung etabliert hat, ist denn auch ein schwaches Instrument, weil es allein von Google umgesetzt werden kann. Vielleicht muss man die Frage umgekehrt stellen: Braucht es nicht auch ein Recht auf Erinnerung? Kann es angehen, dass ein Internetkonzern einfach so das Werk und Wirken eines Autors löscht? Dass ein Tech-Gigant autoritativ und ohne Begründung bestimmt, was Eingang in den kulturellen Kanon findet? Diese Fragen müssen dringend verhandelt werden. Und zwar im öffentlichen Raum.