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Film „Gesicht der Erinnerung“ : Die eine große Liebe

  • -Aktualisiert am

Sie glaubt in ihm jemanden wiederzuerkennen: Alessandro Schuster und Verena Altenberger Bild: SWR/Jacqueline Krause-Burberg

In dem Film „Gesicht der Erinnerung“ spielt Verena Altenberger eine Frau, die ihren Geliebten zu sehen glaubt, obwohl er längst gestorben ist. Ist sie verrückt?

          2 Min.

          In diesem Frühjahr wird der letzte „Polizeiruf“ mit Verena Altenberger zu sehen sein. Während andere Fernsehkommissarinnen bis zur Rente ermitteln, macht Elisabeth Eyckhoff in München nach sechs Filmen Schluss. Die ersten fünf waren eine ständige Neuerfindung ihrer Hauptfigur. Erst Streifenpolizistin, dann Anwärterin für die höhere Karriere, kam Altenbergers Ermittlerin dabei gern aus dem Hintergrund, klug beobachtend und emotional, mitleidend und mitfühlend. Ausbrüche von Lebenslust und entwaffnendem Humor gab es obendrauf, manchmal wirkten sie wie eine Klatsche ins Ge­sicht des Routine-Polizeifilms.

          Bei zweien der Filme führte Dominik Graf Regie. „Die Lüge, die wir Zukunft nennen“ war ein Ritt durch den Korruptionssumpf und mündete in der Zerlegung eines Reviers sowie bukolischem Gelage. „Bis Mitternacht“ war ein Verhörkammerspiel mit Seitenblicken auf die Nebenbühne einer Frauentoilette im Polizeipräsidium: zwei Ausnahmepolizeifilme.

          In „Gesicht der Erinnerung“ setzt Do­minik Graf die Schauspielkunst von Verena Altenberger abermals ins Helldunkel. Dieses Mal in einem schauerromantischen Liebesfilm, dessen rätselhafte Stimmung an Graf-Filme wie „Das Gelübde“ oder „Am Abend aller Tage“ erinnert. Kunst­religion spielte in diesen Filmen eine der Hauptrollen, in „Gesicht der Erinnerung“ liegt das Gewicht mehr auf Liebesmystik und, glaubt man dem Psychotherapeuten (Tyrone Ricketts), der die vielleicht verrückte Hauptfigur, die Physiotherapeutin Christina (Verena Altenberger), behandelt, dem Wahn. Er kategorisiert nach Ka­talog anerkannter Störungen, verschreibt Pillen. Die sind nutzlos gegen Christinas Visionen und Gefühl, ein Gefäß zu sein für fremde Erinnerungen. Vielleicht ist sie schizophren?

          Ist der Geliebte immer noch da?

          Hilfe kommt durch Patrick (Alessandro Schuster), halb so alt wie Christina, der sie nach einem Zusammenbruch von der Straße rettet. In ihm erkennt Christina, nach und nach enthüllt in einem Bildgewitter von Hendrik A. Kley (Kamera) und Claudia Wolscht (Montage), die Liebe ihres Lebens. Die eine Liebe, die in verschiedener Gestalt auftritt. „Was wäre, wenn der Mensch, den man liebt, immer derselbe ist?“

          Die Nacht- und Tagseiten der Bewegungen der Geschichte geben Einsichten, verhüllen wieder, geben scharfkantige, schmerzhafte Erkenntnisblitze, gebärden sich mystisch oder spirituell und schwelgen vor allem in rasch wechselnder Szenenfülle. Man muss sich zurechtfinden in dieser Erzählung. Die Liebe, die die sechzehnjährige Christina (Judith Altenberger, Verenas jüngere Schwester) einst für den verheirateten Familienvater Jacob (Florian Stetter) empfand, fand in dessen Un­falltod vor zwanzig Jahren kein Ende. Als Emanation lebte sie irgendwie weiter, fand vielleicht unweit der Unglücksstelle eine neue Manifestation, in Patrick. Für Christina werden die beiden Männer mehr und mehr eine Person, bis Patrick es mit der geliebten Verrückten nicht mehr aushält und mit der gleichaltrigen Eva (Julia Stammler) eine neue Freundin findet, die ganz normal verrückt nach ihm ist.

          Man könnte den Liebeswahn dieses Films für überkandidelten Schmus halten, aber seltsamer- und geheimnisvollerweise glaubt man Verena Altenberger alles aufs Wort und jede Gebärde, die Offenheit, die quasimediale Präsenz, Verwirrung, Schmerz und Abwehr, und ihr Leiden. Graf beglaubigt sie durch in Szene gesetzte Schönheit.

          Es ist eine bisweilen wie religiös aufgeladene Schönheit, ähnlich ge­zeigt wie diejenige der von Clemens Brentano verehrten katholischen Mystikerin und Visionärin Anna Katharina Emmerick in Grafs Film „Das Gelübde“. Religion, Kunst, Liebe, Freiheit, Seelenwanderung: Fernsehzuschauern, die lediglich am Plot einer Geschichte interessiert sind und eindeutige Aufklärungen schätzen, mag „Gesicht der Erinnerung“ wolkig vorkommen. Alle anderen dürfen gewärtigen, was ein Fernsehfilm als Gesamtkunstprodukt der Gewerke über sich hinausweisend vermag.

          Gesicht der Erinnerung läuft heute um 20.15 Uhr im Ersten.

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