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Filmproduktion in der Krise : Die Dreharbeiten müssen aufhören, jetzt!

  • -Aktualisiert am

Zwangsverordnete Drehpause: Die Corona-Krise trifft die Filmbranche hart. Bild: dpa

Produzenten, die Kino- und Fernsehfilme drehen, stürzt die Corona-Pandemie in die Krise. Es ist unklar, ob sie arbeiten dürfen und wer ihre Ausfälle zahlt. So ergeht ein dramatischer Appell an Politik, Verwaltung und Sender.

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          Surreal. Uli Aselmann findet kein anderes Wort für das, was er gerade erlebt: „Draußen halten die Menschen immer weiter Abstand voneinander, und bei uns am Set stecken die Leute die Köpfe zusammen und drehen vielleicht sogar Kussszenen.“ Keine Science-Fiction, sondern bis zum Freitag letzter Woche Realität in Hamburg bei der Verfilmung des jüngsten Abenteuers von Sarah Kohr in der gleichnamigen ZDF-Reihe mit Lisa Maria Potthoff in der Hauptrolle.

          „Das war so absurd, das konnte ich nicht mehr erklären, dafür konnte ich auch nicht mehr geradestehen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Produzentenallianz. Er entschied, den Sarah-Kohr-Dreh nach vierzehn Tagen abzubrechen, zehn Tage vor Drehende. Er habe in der letzten Woche psychisch alles durchgemacht, was man als Unternehmer durchmachen könne, sagt Aselmann und hofft, dass der Hamburger Bürgermeister eine ähnlich klare Ansage macht wie die Stadt München, die Dreharbeiten in jeder Hinsicht am vergangenen Freitag verboten hatte. „Das ist ein föderales Chaos, in dem wir uns bewegen.“ Ohne offizielle Anordnung könne man später kaum Regressansprüche geltend machen, und die Versicherungen griffen in dieser Lage auch nicht: „Wenn einer unserer Hauptdarsteller eine normale Grippe bekommen hätte, wäre das eine Art Rettung gewesen, weil das versichert ist. Eine Pandemie schließen die Versicherungen aus. Damit sind alle Produktionen nicht versichert. Ein Dilemma, das man so nicht bestehen lassen kann“, sagt Aselmann.

          Wer in diesen Tagen mit Produzenten spricht, bekommt eine Ahnung davon, was Existenzangst ist. Die Sorge geht um vor einer Marktbereinigung, einem Kahlschlag, gerade bei denen, die auf eigenes Risiko produzieren und nicht einen Sender zu ihren Gesellschaftern zählen. Es trifft eine kreative Klientel, die auch in Zeiten der Vollbeschäftigung in den letzten zwei Jahren durch den Kostendruck der Auftraggeber keine Möglichkeit hatte, finanzielle Rücklagen zu bilden. Bis zum gedachten Schulanfang am 21. April könne man vielleicht durchhalten, heißt es aus Produzentenkreisen, danach aber werde das Eis ganz dünn.

          Millionen-Rücklagen für mögliche Corona-Schäden

          Sven Burgemeister (tv60), Produzent erfolgreicher Filme („Sophie Scholl“) und Serien („München Mord“), schildert, wie alles zum Erliegen kommt: Zwei neue Folgen von „München Mord“, die sich gerade in der Endfertigung befinden, könnten nicht fertiggestellt werden, weil die Schauspieler aus Quarantänegründen nicht ins Synchronstudio kommen dürfen oder wollen. Entsprechende Raten können dann auch nicht vom Auftraggeber ZDF abgerufen werden.

          Noch schlimmer: „„Eine vor Zusage befindliche Drehbuchentwicklung für eine Serie wurde von höchster Stelle abgesagt, mit der Begründung, man müsse Millionen-Rücklagen für  unausweichliche Corona-Schäden bilden. Das Problem verstehe ich, andererseits geht es um vergleichsweise wenig Geld. Perspektive zu haben, ist in der Krise für uns alle entscheidend, denke ich.“ Man brauche gerade in dieser Situation Signale aller Auftraggeber, dass es ein Leben nach der Krise gebe. Die Zusage der Sender, dass man die Hälfte der Kosten der wegen der Krise angehaltenen Produktionen übernehmen, hat zwei Seiten: „So positiv wie diese Zusage gemeint ist“, gibt Burgemeister zu bedenken, „Banken werden die Produzenten fragen, wie wir die anderen fünfzig Prozent des Schadens abdecken. Unsere Kapitaldecken sind nicht auf Augenhöhe.“

          In seinem Fall betrage die Summe 1,3 Millionen, sagt Uli Aselmann. „So viel hat keiner von uns zu Hause rumliegen.“ Staatliche Soforthilfen von bis zu 30.000 Euro seien nur ein Tropfen „bei den Summen, die bei uns im Raum stehen. Das hilft uns nicht aus der Patsche.“

          Etwa die sechs Millionen Euro, die als das Budget für eine Kino-Produktion ausgegeben werden sollten. Existentiell bedroht sieht sich hier auch Andreas Ulmke-Smeaton von der Samfilm („Ostwind“). „Unser einziges Projekt in diesem Jahr.“ Am 15. April sollten die Dreharbeiten zu „Der junge Häuptling Winnetou“ in Spanien beginnen. „In der letzten Woche hätte ein Schwung unserer Mitarbeiter nach Spanien fahren sollen, um das Projekt vorzubereiten. Das haben wir gestoppt.“ Nun sei der Plan, irgendwann im Sommer wieder anzufangen unter der Regie von Mike Marzuk. „Wir müssen klären, inwieweit Kurzarbeit in Frage kommt. Wir müssen schauen, ob die jungen Darsteller weiter Zeit haben und eine Schulbefreiung bekommen. Wenn nicht, bricht für uns vieles zusammen, denn der Hauptdarsteller ist laut Drehbuch zwölf Jahre alt.“ Fraglich auch, ob der spanische Partner, dem schon drei amerikanische Produktionen weggebrochen seien, die Krise überlebe. Wenn nicht, so Ulmke-Smeaton, „ist das existenzgefährdend“.

          Zermürbend: die Ungewissheit, wann und wie es weitergeht

          „Wer ist 2021 von uns Filmunternehmern noch da?“, fragt Sven Burgemeister. Nur noch Konzerne und Sendertöchter mit bestandsgarantierten Gesellschaftern? Wer bekommt dieses Jahr Aufträge, um kommendes Jahr überstehen zu können? Bei den Produzenten heißt es bei unseren Recherchen allgemein: „Unsere Kapitalisierung basiert auf unserer privaten Bürgschaft gegenüber Banken, die wir beleihen.“ Und Burgemeister ergänzt: „Wenn ich mir was wünschen dürfte, wäre es eine faire Chance und das ausdrückliche Vertrauen der Auftraggeber und eine komplette Steuerbefreiung für kleine unabhängige Mittelständische 2019 und 2020.“

          Lakonisch heißt es beim Branchenriesen ndF, der Quotenhits wie „Um Himmels Willen“ und den „Bergdoktor“ produziert, dass alle Drehs stillstehen. „Ein ,Bergretter‘-Team ist eine Woche vor Drehende in der Ramsau am Wilden Kaiser heimgereist, und auch ,Der Alte‘ hat den Dreh natürlich abgebrochen. Ein ,Bergretter‘-Special wurde auf unbestimmte Zeit verschoben“, sagt Unternehmenssprecherin Anja Konen-Praxl. Es ist die Ungewissheit, wann und wie es weitergeht, die alle zermürbt, und das Wissen darum, dass für die filmischen Saisonarbeiter von der Maske bis zum Licht die Einkünfte wegbrechen. „Sie haben ja nicht mal Jobalternativen.“ Dadurch bekommen sie für die Arbeitslosenversicherung zu wenige Tage zusammen, sie müssen ihre meistens privaten Krankenkassenbeiträge weiterbezahlen.

          Schon melden sich Produzenten bei den Sendern und bitten um schriftliche Bestätigung für die Banken, dass Serien und Filme, wenn nicht sofort, dann doch später realisiert werden. Doch wie ein möglicher Drehstart aussehen könnte, mag sich jetzt niemand ausmalen. Ein Insider beschwört einen „Stau wie vor der polnischen Grenze, sobald klar ist, wann wieder gedreht werden darf. Und wer fällt dann die Entscheidung, ob die Projekte, die in den Corona-Wochen produziert werden sollten, Vorrang haben oder die, die dann gerade dran wären? Wer wirkt da mit? Viele sind ja in der einen wie der anderen Produktion gebucht.“

          Uli Aselmann sagt: „Es ist psychisch gerade gar nicht möglich, sich hinzusetzen und Komödien zu lesen. Dabei wollen wir die auch wieder drehen.“ Sven Burgemeister sagt: „Ich lese Drehbücher und Stoffe und glaube nicht mehr, was ich lese. Wir müssen uns inhaltliche Gedanken machen für zukünftige Geschichten. Niemand weiß, wie die Welt nach Corona aussieht. Mir gehen auch die italienischen Kollegen, die ich gerade noch bei der Berlinale traf, nicht aus dem Kopf. Wir müssen uns kontaktfrei die Hand geben und versuchen Schritt für Schritt voranzugehen. Wir brauchen einen Normalzustand, dass wir alles im Land auf gleiche Weise teilen. Ich kann nicht glauben, dass es immer noch Leute im Land gibt, die glauben, wir hätten kein Problem.“

          Das bestätigt auch der Hilfeschrei, den der Verband VTFF gestern absetzte. Die Vertretung der technisch-kreativen Dienstleister schreibt, dass viele Mitglieder „aufgrund der Corona-Krise ums Überleben kämpfen“. Die meisten Studios, Kameraverleiher oder Außenübertragungsunternehmen hätten bereits jetzt durch abgesagte Produktionen und Veranstaltungen keine Einnahmen mehr. „Der vielfach geforderte Zusammenhalt muss die gesamte Wertschöpfungskette umfassen“, wird der Vorstandsvorsitzende Stefan Hoff zitiert. „Die Schutzschildmaßnahmen der Bundesregierung sind erste Schritte, die aber nicht ausreichen werden, wenn die starken Einschränkungen länger andauern. Dann müssen weitere Programme eingeleitet werden, wie ein Notfallfonds zur Übernahme von Gehältern und Mieten, Stundung von Abgaben und besser abgesicherte Kredite. Wichtig ist, dass die Maßnahmen auf film- und fernsehtechnische Betriebe angepasst sind, da diese oft durch alle Raster fallen.“

          Verbände fordern schnelles Handeln

          Am Dienstag haben der Produzentenverband e.V. und der Film- und Medienverband NRW e.V. Politik und Verwaltung aufgefordert, endlich zu handeln: „Die Regelungen hinsichtlich der Durchführung, Verschiebung und des Abbruchs von Dreharbeiten für fiktionale Kino- und Fernsehproduktionen“ seien „bundesweit lückenhaft“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung. Die Corona-Pandemie mache Dreharbeiten „aus Gründen des Schutzes der Gesundheit, nicht nur der unmittelbar Beteiligten“, unmöglich.

          Es sei fahrlässig, dass „bundesweit alle Kultureinrichtungen, einschließlich der Kinos, geschlossen wurden, Dreharbeiten aber fortgeführt werden können“. Nötig sei eine „sofortige, bundesweit gültige Regelung, die den Abbruch aller laufenden und die Verschiebung aller bevorstehenden Dreharbeiten ermöglicht, ohne die Verantwortung für diesen Schritt allein auf die einzelnen Produktionsunternehmen abzuwälzen“. Länder, Kommunen, Arbeitsschutz- und Gesundheitsbehörden müssten „von den ihnen gesetzlich zustehenden Möglichkeiten Gebrauch“ machen, und interpretationsfreie Verordnungen oder Allgemeinverfügungen zu erlassen und einen einheitlichen rechtsverbindlichen Rahmen für den Abbruch beziehungsweise die Verschiebung von Dreharbeiten zu schaffen“. Das sei ebenso wichtig wie die Solidarität der Fernsehsender als Auftraggeber.

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