„Schande“ im ZDF : Mutter ist die Bestie
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Auch die große Liebe? Jedenfalls haben die verheiratete Juristin Paula Moser (Maria Köstlinger) und der einzelgängerische Kriminalpsychologe Richard Brock (Hein Ferch) eine Äffäre miteinander. Bild: Petro Domenigg
Der Psychopath Pliem im Duell mit dem Psychologen Brock: „Schande“, die vierte Folge der exzellenten Serie „Spuren des Bösen“, leidet zwar unter einigen Unstimmigkeiten, bleibt aber dennoch unwiderstehlich.
Das Großartige an der Serie „Spuren des Bösen“ ist, dass sie gar keine werden wollte - und dass es sie, seit sie doch eine wurde, nur einmal im Jahr gibt. Dass sie keine werden wollte, liegt an ihrem Hauptdarsteller Heino Ferch, der nicht auf eine bestimmte Rolle festgelegt sein möchte: Einen „Tatort“-Kommissar zu spielen, hat er deshalb mehrfach abgelehnt. In „Spuren des Bösen“ ist er der Kriminalpsychologe Richard Brock, der parallel zur Ermittlerarbeit für die Wiener Polizei an der Universität Vorlesungen im undogmatischen Nachfolgegeist der Freudschen Psychoanalyse hält. Heute Abend, in der jetzt vierten Folge mit dem Titel Schande, geht es um das vielbeschworene Unbewusste. Brock beginnt sein Kolleg mit einem, wie sich zeigen wird, nicht nur poetischen, sondern auch prophetischen Bild: „Wir sind alle Eisberge, die im Wasser treiben.“
Dass „Spuren des Bösen“ doch eine Serie wurde, lag am Zuschauer- wie Kritikererfolg des ursprünglich als Unikat gedachten Fernsehfilms „Das Verhör“, der beim ORF im Januar 2011 und ein Jahr danach dann auch im ZDF gesendet wurde. „Racheengel“ (Ende 2012) und, als bisheriger Höhe- und Glanzpunkt, „Zauberberg“ (F.A.Z. vom 13. Januar 2014) sind inzwischen gefolgt; die Trilogie gibt es auch als DVD. Zur unverwechselbaren Handschrift der Exzellenzstücke tragen neben Ferch vor allem der Regisseur Andreas Prochaska und der Drehbuchautor Martin Ambrosch bei - und natürlich die klischeefrei, also subtil gefilmten Wien-Kulissen des Kameramannes David Slama.
Zum real existierenden und durch „Spuren des Bösen“ inzwischen mindestens halblegendären Café (im Original: „Kaffee“) Urania, der Frühstücksheimat des Einzelgängers Brock, gesellt sich in „Schande“ noch das herrlich retrohafte Hotel Brillant als zentraler Handlungsort, hinzu kommt ein faszinierend abscheuliches Einfamilienhaus im Gemeindebezirk Hietzing, in dem Brocks aktuelle Gegenspieler, der Pseudomediziner Gerald Pliem (Fritz Karl als großer Kleinbürgerdämon) und dessen Mutter Brigitte (Inge Maux als teuflisch harmlose Spießerin), seit Jahrzehnten leben, genauer: in dem sie sich vor der Welt verschanzt haben.
Suchtnahe Sympathie
Pliem erpresst Brock, denn er ist dessen Affäre mit der verheirateten Juristin Paula Moser (Maria Köstlinger) auf die Schliche gekommen. Er will aber durchaus kein Geld, sondern ganz dringend Hilfe, ergo: er möchte zu Brock in Therapie. Brocks Nachbar, ein vor der Emeritierung stehender Rechtshistoriker, wird ermordet, die Wohnung in Brand gesteckt, was zu nächtlicher Massenevakuierung eines k. k. Altbaus in der Innenstadt nötigt. Paula Moser („Eigentlich ein Dienstbotenname“, sagt der wienkundige Pliem) wird am helllichten Tag überfahren - eine Szene, die man nicht kommen sieht und die deshalb einer der stärksten Momente des Films ist. Ob das Opfer überleben wird, bleibt offen. So die Exposition der Handlung.
Deren Durchführung ist einerseits überkonstruiert, andererseits in sich keineswegs schlüssig. Überkonstruiert, weil die Witwe Pliem alsbald nur noch als Demonstrationsobjekt für die Drehbuchthese herhalten muss, dass Mütter beileibe nicht die sprichwörtlich besten sind, sondern, wie es auch ein Titel des jüngsten Bücherherbstes annoncierte, eher zur Gattung Bestie gehören. In sich unschlüssig ist „Schande“, weil zumindest zwei zentrale Tat- und Täteraktionen zwar behauptet und andeutend auch gezeigt werden, aber jeder Folgerichtigkeit entbehren. Ein Anruf auf Brocks stumm gestelltem Uralthandy signalisiert Bedeutung, wo partout keine ist. Und weshalb man ein nichtsahnendes Opfer erst umständlich und mit einem Uraltmedikament betäuben muss, um es dann mit einem Schürhaken erschlagen oder mit einem Messer erstechen zu wollen, bleibt unerfindlich.
Der suchtnahen Sympathie, mit der man auch dieser neuen „Spur des Bösen“ folgt, tut das letztlich keinen Abbruch. Zu dicht ist die Atmosphäre des Ganzen, zu überzeugend agieren die Schauspieler bis in die kleinsten Nebenrollen hinein - allein der Sekundenauftritt von Frau Tauber (Frieda Mühl), der Mutter des wie stets entwaffnenden Cafébetreibers Klaus Tauber (Gerhard Liebmann), lohnt das Einschalten. Und was Prochaskas Regie und Slamas Kamera dann in den letzten gut zwanzig Minuten vorführen, ist jenseits aller Logik einfach große Film- und Fernsehkunst: Wir sehen dem Eisberg Richard Brock beim Schmelzen in der Hölle von Hietzing zu - und staunen bewundernd. Mindestens eine Folge noch ist uns versprochen. Arbeitstitel: „Liebe“. Was ist schon ein Jahr?