Film „Wolfswinkel“ im Ersten : So stellt man sich beim WDR also das braune Brandenburg vor
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Geben ihr Bestes, aber diesen Film retten sie nicht: Alina Levshin, Annett Sawallisch und Claudia Eisinger (v.l.) in „Wolfswinkel“ Bild: WDR/Simone Weigelt
Kommt eine rechtsradikale Influencerin vorbei, und alle laufen ihr nach: „Wolfswinkel“ ist ein Film für Leute, die schon immer gewusst haben, dass auf dem Land nur tumbe Typen leben. Das ist ein Haltungsspektakel der plakativsten Art.
Nicht viel los in Wolfswinkel, einem Kaff im Brandenburgischen. Bürgermeister Elvis Neumann (Jörg Schüttauf) ist in Personalunion der örtliche Kiesgrubenbesitzer. Er interessiert sich kaum für Politik, mehr fürs Geschäft. Die Dorfpolizisten Melanie (Annett Sawallisch) und Heiko (Robert Höller) sammeln Müll am See und sind ob einer Cannabispflanze im Garten der Grundschule mäßig alarmiert. Auf dem Revier geht es bedächtig zu. Man frotzelt sich durch den Tag und schiebt eine ruhige Kugel. Aufreger der Saison: Der Bürgermeister gratuliert der rüstigen Martha (Carmen-Maja Antoni) zum Hundertsten.
Damit aber ein Film über Langweiliges nicht langweilig beginnt, muss die Polizistin Melanie in „Wolfswinkel“ wie weiland der „Polizist“ der Gruppe „Village People“ in Y.M.C.A. eine Tanzeinlage in Uniform geben. Kurz vor Schluss des Dramas um rechtsradikal motivierte Politisierung eines Dorfes ergänzt man die „leichte Note“ durch eine Musicaleinlage mit Dancemoves aller Hauptdarsteller. Geht es dabei um den Brechtschen Erkenntnismoment? Braucht dieser WDR-Film Schmunzelszenen, um seine Vorhersehbarkeit auszuhebeln? Oder fanden die Beteiligten selbst den Film einfach zu hölzern?
Überdeutliche Hinweise überall
Seltsam ist manches in dieser braunen Dorfgeschichte: die Figuren und ihre Eigenschaften, die Geschichtsvergessenheit der Normalbürger, das behauptete Idyll völlig Naiver, die bei Kaffee und Kuchen in Gärten voller Stockrosen sitzen und als Gemeinderat so tun, als hätten sie von „Rechten“ und „Linken“ noch nie gehört. Dann kommt der – ebenso wenig überzeugende – Moment, in dem die „Gute-Laune-Bombe“ Melanie dem Gemeinderat die Leviten liest: „Die Polizei kann bloß uffpassen. Aber auf wen und wo wir hinkieken sollen, det bestimmt ihr.“ Klar: sprachliche Einfärbung ist ein Mittel der Authentizitätsbeglaubigung. Wer sich berlinernd empört, aus dem spricht die Zivilgesellschaft. Meint man.

Trailer : „Wolfswinkel“
Zu den überdeutlichen Hinweisen des Films von Scarlett Kleint, Alfred Roesler-Kleint (Buch) und Ruth Olshan (Regie und Buch) gehört auch, dass die Polizistin Melanie die Uniform für die Dauer des Films ablegt. Zu Beginn in Uniform so lahm wie alle anderen, ist sie nach der ersten, von den anderen bagatellisierten Straftat nicht mehr Staatsvertreterin, sondern Staatsbürgerin. Mit etwas ungeordnetem Privatleben – ungewollt schwanger von einem polnischen Schiffer (und verheirateten Katholiken) auf der Durchreise.
Alles wirkt hier konstruiert
Die Haupthandlung ist eine Dreiecksgeschichte. Zu Schulzeiten waren die patente Melanie, die nervende Besserwisserin und Grundschullehrerin Anja (Alina Levshin) und die verhaltensauffällige Lydia (Claudia Eisinger) beste Freundinnen. Schwer zu glauben, aber die Gegenwart wirkt noch konstruierter. Lydia wurde Daily-Soap-Star und Social-Media-Influencerin in Berlin. Jetzt ist sie zurück, angeblich, um etwas für die Jungen in der Gemeinde zu tun. Der Pfarrer steht halt nur in der Kirche und singt Friedenslieder zur Klampfe.
„Wir holen uns unsere Heimat zurück!“ lautet die Parole in Lydias viel beachteten Videos. Sie lädt die Jugendlichen in eine Art Begegnungszentrum ein (ein Tischkicker genügt, um ihr eine blinde Gefolgschaft zu verschaffen). Der Gemeinde spendiert sie einen „Heldengedenkstein“. Den bemalt die Lehrerin Anja mit ihrer Klasse mit einem Regenbogen, worauf sie des Nachts entführt und morgens bewusstlos an einem Baum gefesselt gefunden wird. Jetzt reicht es, findet Melanie. Wobei auch hier gewollte Seltsamkeiten „Wolfswinkel“ bestimmen. Anja ist zwar die einzige Hobbyhistorikerin im Dorf und stellt im Wald ein Mahnmal für eine Straße auf, die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter bauen mussten und deren Steine der Bürgermeister verhökert hat, aber sie ist auch eine unsympathische Nervtante. Lydia, die rechte Influencerin mit dem braunen Blog, war zuvor in der Psychiatrie und hat anscheinend bloß seelische Probleme.
Platte Symbolik
In dieser Geschichte geht nichts auf. Die sehr guten Schauspielerinnen Sawallisch, Levshin und Eisinger geben alles, kommen aber gegen die Dämlichkeiten von Buch und Regie nicht an. Die Botschaft ist ehrenwert – „nicht wegschauen“, „nicht auf Rattenfänger reinfallen“, „selber denken und selber handeln“, „Haltung zeigen“ –, aber auch banal. Lydia, Aufsagerin rechter Stereotype, wird als charismatische „Irre“ im Film nicht ernst genommen.
Vor allem die letzte Szene strotzt vor platter Symbolik. Da sehen wir drei Frauen, die eine hochschwanger, die Zukunft in sich tragend; die zweite, die Hundertjährige, die sich noch rechtzeitig an vergangene Gräuel erinnert hat, die dritte, die Lehrerin, die den Kindern Verantwortung vermitteln will, wie sie gemeinsam Blumen an der Gedenktafel für die KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter ablegen. Währenddessen feiert die rechtsradikalisierte Jugend im Dorf das Heimatfest.
Soll das ein offener Schluss sein? Für welches Publikum entstehen solche Filme? Zuschauern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die hier aus Interesse einschalten, dürften wissen, was Zivilcourage bedeutet. Besonders Jüngere wird die Pappkameraden-mit-Musicalbonus-Machart kaum ansprechen. „Wolfswinkel“ ist ein Vehikel-Film für Leute, die gern die Haltung des Hab-ich-doch-schon-immer-gewusst einnehmen.
Wolfswinkel läuft um 20.15 Uhr im Ersten.