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Film zum Beethoven-Jubiläum : Der Götterfunke Freude rauscht um den Globus

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Glück und Leben hängen von ihr ab: „Ohne die Bratsche ist kein Leben möglich,“ sagt Nicoli aus Sao Paulo. Bild: DW/Arte

Anlässlich des Jubiläumsjahres zeigt die Deutsche Welle „Beethovens Neunte – Symphonie für die Welt“. Der Film von Christian Berger präsentiert Beethoven als Schöpfer einer Weltmusik, die alle Menschen erreicht.

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          Ein Moment in diesem Film kommt völlig überraschend. Nicoli aus São Paulo steht mit ihrer Viola im Arm am Fenster einer winzigen Wohnung. Auf einmal hat die junge Frau, die eben noch fröhlich im Sinfonie-Orchester die 9. Sinfonie von Beethoven geprobt hat, Tränen in den Augen. „Ohne die Bratsche ist kein Leben möglich.“ Ihr Glück und ihr Leben hängen davon ab, dass sie als Bewohnerin der Favela Heliópolis musizieren und dadurch auch Geld für sich und ihre Familie verdienen kann.

          Die ungespielte Ergriffenheit, die Nicoli im Moment des Interviews überfällt, zeigt direkt auf das Faszinosum Beethoven. Im Freudenrausch des Schlusssatzes der Neunten liegt der Hoffnungsschimmer, dass die menschliche Mühsal nicht das letzte Wort hat. Der Götterfunke „Freude“ hebt den Menschen hoch in göttliche Sphären, vereint ihn mit Millionen von Brüdern auf der ganzen Welt. Mit scharfen Kontrasten, mit ekstatischen Steigerungen hämmert der Komponist Musikern, Sängern und dem Publikum ein, dass ein Farbwechsel des Lebens möglich ist.

          Im direkten Bezug zu Beethoven

          „Das ist nicht religiös, das ist universell“, reflektiert Armand Diangienda, Chefdirigent des Orchestre Symphonique Kimbanguiste aus Kinshasa im zentralafrikanischen Kongo. Voller Hingabe spielen die Laienmusiker die Sinfonie, während direkt neben ihnen ein Gewitter niederprasselt. Eine Cellistin, tagsüber Marktfrau, ist glücklich, dass sie ihre Alltagsprobleme bei der abendlichen Orchesterprobe hinter sich lassen kann. „Alltagsprobleme“ wie zum Beispiel Gehörlosigkeit werden in Christian Bergers Film ganz neu beleuchtet, nämlich in direktem Bezug zu Beethoven. Der von der Nachwelt als titanenhaft angesehene Komponist musste sich mit zweiunddreißig Jahren damit abfinden, dass seine wachsende Taubheit irreversibel sei. In Bergers Dokumentation über die Neunte in aller Welt begegnen wir dem nahezu tauben britischen Musikpädagogen Paul Whittaker. Mit ansteckender Intensität bringt er gehörlosen Kindern und Jugendlichen die Musik nahe, etwa bei dem Projekt „Feel the music“ mit dem Mahler Chamber Orchestra, das in Barcelona die Neunte einstudiert.

          Ob am stillen Wasser, im Rhythmus der Großstadt oder im Studierzimmer: Der chinesische Komponist Tan Dun trägt Beethoven mit sich.
          Ob am stillen Wasser, im Rhythmus der Großstadt oder im Studierzimmer: Der chinesische Komponist Tan Dun trägt Beethoven mit sich. : Bild: DW/Arte

          Der Filmemacher experimentiert damit, die Lautstärke an einzelnen Stellen so stark herunterzuregeln, dass man fast nichts mehr wahrnimmt. Bei der Uraufführung 1824 in Wien stand auf dem Programmzettel: „Herr Ludwig van Beethoven selbst wird an der Leitung Antheil nehmen“. Damit ging es ihm genauso wie den Jugendlichen bei „Feel the music“, die vornehmlich durch die Druckwellen der Klänge Anteil an der Aufführung der Sinfonie nehmen. Das Signal: mit Beethoven gegen die durch Gehörlosigkeit hervorgerufene soziale Isolation.

          Brasilianische, kongolesische oder japanische Chöre lassen es sich nicht nehmen, Schillers Freuden-Dichtung auf Deutsch zu singen. So hören wir es auch in Osaka, wo die Sinfonie jedes Jahr mit zehntausend Sängern aufgeführt wird, produziert von einem japanischen Fernsehsender. Jeder der begeisterten Teilnehmer zahlt umgerechnet siebenhundert Euro für den kollektiven sinfonischen Rausch. Während der Japaner Ytaka Sado die Chormassen mit Entertainer-Qualitäten zu einen versteht, wirkt der europäische Dirigent Teodoros Currentzis im Umgang mit Musikern seltsam tyrannisch – Beethovens Vision von Humanität war das nicht.

          „Beethoven hat versucht, jeden Menschen zu erreichen, auch mich, heute, hier in Schanghai.“ Mit diesem beflügelnden Gedanken geht der chinesische Komponist Tan Dun an die Konzeption seines Chorkonzerts „Nine“. Es soll im August 2020 mit dem Weltjugendchor in Bonn uraufgeführt werden. Das Charisma des Künstlers wird in wechselnden Filmsequenzen offenbar. Sie zeigen Dun mal am stillen Wasser, mal im Rhythmus der Großstadt, mal im Studierzimmer, doch immer präsent und offen.

          „Beethovens Neunte – Symphonie für die Welt“ wird im deutschen Programm der DW heute um 17.15 Uhr ausgestrahlt und um vier Uhr nachts wiederholt. Arte zeigt den Film am 2. Februar 2020.

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