Schirach-Filmprojekt „Feinde“ : Viele Stunden schlechtes Fernsehen
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Alix Heyblom als Lisa von Bode in „Feinde – Gegen die Zeit“ Bild: obs
Vorausgesetzt wird mal wieder ein naiv-moralischer „Urzustand“ der Nichtjuristen im Publikum: Warum das Schirach-Projekt „Feinde“ der ARD ein bestürzender Murks ist.
Es ist bitterkalt in Berlin, der Schnee fällt, der Wind pfeift ins Gemüt, und nur bei der mutmaßlich schwerreichen Familie von Bode herrscht am Morgen des Entführungstages eitel Sonnenschein. In der Grunewald-Villa frühstücken Vater (Harald Schrott), Mutter (Ursina Lardi) und die Kinder, während im Hintergrund die Haushälterin werkelt. Lisa (Alix Heyblom) schiebt Hund Tobi Wurst unter den Tisch und entschuldigt sich dafür bei der milde tadelnden Mutter. Eine beneidenswert intakte Familie, in der auf Mutter die Assistentin und auf den Vater gleich der Flieger wartet, die Tochter aber trotz Wachmannschaft im Pförtnerhaus munteren Schritts ganz allein zur Schule stapft.
An diesem Tag wird sie nur wenige hundert Meter vom Anwesen entfernt entführt. Der Täter knebelt sie, verschnürt sie mit Klebeband und bringt sie zu einem verlassenen Fabrikgelände. In einem fensterlosen gekachelten Raum scheint Lisas Gefangenschaft detailliert vorbereitet. Es gibt einen Kanonenofen, Wasser, Essen, Lagerstatt mit Kuscheltier. Der Vermummte reicht seiner Geisel sogar ein Nintendogerät. Dieser Verbrecher hat an alles gedacht. Fast – vom Wind bewegt, legt sich eine Plastikplane über den Ofenrohrauslass. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das zwölfjährige Kind mit den munteren Locken, den erstklassigen Manieren und dem Engelsgesicht an Kohlenmonoxidvergiftung stirbt.
Der Film „Ferdinand von Schirach: Feinde – Gegen die Zeit“ gibt sich Mühe, das Entführungsopfer als Unschuld einzuführen und Emotionalität herzustellen. Das Kalkül geht freilich nicht auf. Die von Bodes bleiben dem Publikum Unbekannte. Sie sind Funktionsträger in einem, so nennt es das Pressematerial, das sich vor Enthusiasmus kaum fassen kann, „gesellschaftlichen und moralischen Experiment“ und „einzigartigen Fernsehereignis auf mehreren Ebenen“.
Wen soll das beeindrucken?
Kurz nach der Ausstrahlung des Sterbehilfe-Nachhilfefilms „Gott“, in dem eine fiktive Sitzung des Ethikrats dekliniert wurde, die aussah wie ein Strafprozess, deren Gutachter argumentativ und rhetorisch schwach auf der Brust wirkten, zeigt die ARD mit dem neuen Schirach-Projekt „Feinde“ nun all jenen die Breitseite, die sich fragen, welche Verbindung das Recht und die Strafprozessordnung zur Gerechtigkeit haben solle und welche es tatsächlich unterhält. Wie schon in „Gott“ und auch in „Terror“ wird ein unterstelltes „natürliches“ Rechtsempfinden der Bevölkerung mit existentiellen Härten und dem Preis der Rechtssicherheit konfrontiert. Vorausgesetzt wird wieder ein naiv-moralischer „Urzustand“ der Nichtjuristen im Publikum. „Feinde“ will Zuschauer beeindrucken, die bislang weder mit dem Kant’schen Imperativ in seiner allgemeinsten, formalen Form („Verhalte dich so, dass deine Taten Grundlage der allgemeinen Gesetzgebung sein könnten“) noch dem Volksmundspruch „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ in Berührung gekommen sind. Die Zahl dürfte wohl verschwindend gering sein. Aber damit die Schirach-Fernsehfestspiele in gewünschter Weise funktionieren, muss die Handlung so gestrickt werden, dass dem avisierten „freien Nachdenken“ kein Raum gegeben wird. Wenn Bildungsfernsehen einen humanistischen Freiheits- und Meinungsbegriff mitdenkt, dann handelt es sich auch bei „Feinde“ nicht um Bildung, sondern um jurapopulistische Erziehung.
Hier geht das so: Der Film „Gegen die Zeit“, der mit der Familienszene Herzlichkeit gaukelt, stellt die Figur des leitenden Ermittlers Peter Nadler (Bjarne Mädel) vor. Er soll das Identifikationszentrum der Spielhandlung bilden. Nadler sieht nach Jahrzehnten Polizeiarbeit „das Böse“ überall. Gegenüber der Amoralität des Bösen muss die Regelhaftigkeit der Polizeiarbeit im Zweifelsfall versagen. Mit der Entführung der kleinen Lisa ist ein solcher Zweifelsfall gegeben. Nadler hat eine Frau und eine Tochter in Lisas Alter. Die Eltern versuchen, ihrem Kind Werte beizubringen, das wird in einer kurzen Szene, ebenfalls am Esstisch, deutlich. Mehr erfährt man nicht.