FAZ.NET-Frühkritik : Mobbende Mönche
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Jauch nutzte seinen Chor, um die Anmerkungen der Gäste durch Sachverstand zu kontrastieren. Bild: DPA
Ob Günther Jauch neuerdings einen Dramaturgen beschäftigt? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall hat er in seiner gestrigen Sendung „Gestresst – Arbeiten bis zum Umfallen“ ein Stilelement benutzt, das dem Zuschauer aus dem griechischen Theater bekannt sein könnte.
Es fiel zwar einmal der Name „Wulff“, aber ansonsten spielten ehemalige und aktuelle Bundespräsidenten keine Rolle. Stattdessen hieß es am Sonntagabend bei Günther Jauch: „Gestresst - Arbeiten bis zum Umfallen.“ Jauch beschäftigte sich mit den Schattenseiten der Leistungsgesellschaft. Er verfolgte einen globalen Ansatz, der tatsächlich jeden Schatten abzubilden versuchte: Schlaganfall, Burn-out, Zusammenbruch, Selbstmordgedanken. Allerdings ist nicht jeder Schlaganfall und jeder Gedanke an Selbstmord der Leistungsgesellschaft vorzuwerfen. Das war eine Erkenntnis der gestrigen Sendung. Nur was ist eigentlich ein Burn-out?
Niemand will Niedecken und Kubicki zu Nahe treten
Auf Jauchs Podium saßen drei Herren und eine Dame, die mehr oder minder Interessantes zum Thema beisteuern konnten. So waren bei zwei Herren, dem Kölner Mundartsänger und bildenden Künstler Wolfgang Niedecken, sowie dem Kieler FDP-Politiker Wolfgang Kubicki persönliche Betroffenheit in Verbindung mit allgemein-unverbindlichen Erkenntnissen zu hören („Wir heißen beide Wolfgang“). Außerdem sind sie 60 Jahre alt. Um nicht vom Stress des Lebens als reicher Rockmusiker oder als wohlhabender Politiker und Rechtsanwalt aufgefressen zu werden, fährt Niedecken morgens am Rhein mit dem Rad, während Kubicki lieber auf die Ostsee blickt. Beide denken dann an nichts. Nun hatte Niedecken einen Schlaganfall, wohl wegen einer verschleppten Erkältung, während Kubicki im Jahr 1993 für geschlagene zehn Minuten an Selbstmord dachte. Allerdings war ihm das „Wasser zu kalt“, um diesen Plan umzusetzen.
Niemand will den beiden Herren zu Nahe treten. Ein Schlaganfall ist ein schweres Schicksal und über den Druck, dem Kubicki im Jahr 1993 bisweilen ausgesetzt gewesen ist, will man nicht urteilen. Vor allem weil Kubicki der Freitod seines Freundes Jürgen Möllemann zu schaffen macht. Es ist ihm anzumerken. Er fragt sich bis heute, ob er ihn nicht hätte verhindern können. Nur was hat das alles mit den Schattenseiten der Leistungsgesellschaft zu tun?
Frau von der Leyens brillante Mitarbeiter
Bei der Dame in Gestalt der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen gab es persönliche Erfahrungen in Verbindung mit sonstigen Informationen. Sie berichtete von ihrer Überforderung „als junge Mutter“ und „junge Ärztin.“ Von der Angst, etwas falsch zu machen. Den hohen Erwartungen ihrer Umwelt – und ihren eigenen, nämlich alles „perfekt“ zu machen. Sie hat daraus Konsequenzen gezogen. So schaltet sie am Wochenende auf politische Funkstille, um sich dem Ehemann und ihren sieben Kindern zu widmen. Aber wenn es ernst wird, kann sie sich auf ihren „brillanten Pressesprecher“ verlassen. Die Verantwortung „für ein Ministerium mit 1200 Mitarbeitern“ kann sie tragen, weil sie - wir ahnen es schon - einen „brillanten Staatssekretär“ hat. Es geht halt nichts über gute Mitarbeiter. Wobei diese sicherlich erfreut waren, aus dem Mund ihrer Chefin zu hören, „dass auch in Ministerien die Arbeitsschutzgesetze gelten“.
Ihr Pressesprecher muss aber wirklich brillant sein. Frau von der Leyen hat es nämlich sogar geschafft, dass Thema der Hilfe für die Schlecker-Mitarbeiterinnen unterzubringen. Burn-out und die Folgen der Schlecker-Insolvenz? Auf diesen Zusammenhang war bis Sonntagabend noch niemand gekommen.
Die Rolle des vierten Gastes, des Benediktinermönchs Notker Wolf, beschränkte sich auf gut gemeinte Anmerkungen zum Thema. Aber immerhin zeigte dabei Niedecken seine Kreativität. Auf Jauchs Frage an den Abtprimus, ob es unter Mönchen Mobbing gäbe, antwortete Notker Wolf nur knapp: „Das kann es geben.“ Worauf Niedecken meinte, dass die „Mobbenden Mönche“ ein guter Bandname wären. Die Sinnstiftung des heutigen Katholizismus reduziert sich halt bisweilen auf ihre kulturindustrielle Verwertbarkeit.