Religion digital : Das Gebet geht online
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Zwei Sternensinger und ein Smartphone: Jederzeit können sie einen Gebetswunsch in der App von „amen.de“ abschicken. Bild: dpa
Das Internet ist kein gottloser Ort. Auf zahlreichen Webseiten tauschen sich Gläubige miteinander aus und schreiben über Gott und die Welt. Eine App macht das Beten sogar smartphonetauglich.
Menschen haben im 21. Jahrhundert nicht aufgehört zu beten. Im Gegenteil: Gebetet wird für den Weltfrieden, für Gesundheit, für Lebende und Verstorbene. In einer Baptisten-Gemeinde bei Washington versuchen Gläubige mit Gottes Hilfe Körpergewicht zu verlieren – das Programm nennen sie „Losing to live“. Im Islam wird fünfmal am Tag gebetet. Die Gebetszeiten und die passenden Texte gibt es mittlerweile als App – „Muslim Pro“ wird weltweit von zwanzig Millionen Muslimen genutzt.
Die größte christliche Online-Community Deutschlands unterhält der zu der evangelikalen Stiftung Christliche Medien (SCM) gehörende Bundes-Verlag mit der Website „jesus.de“. Daneben betreibt er die Seite „amen.de“. Sie soll ermöglichen, „dass Menschen im Internet ganz konkret ein Stück der Realität Gottes erleben“. Seit Dezember 2015 gibt es „amen.de“ auch als App. Sie vermittelt Fürbitten. Hat man etwas auf dem Herzen, kann man – auf Wunsch auch anonym – sein Anliegen eintippen, und mit einem Klick werden potentielle Beter informiert. Der Gebetswunsch wird dann von ihnen an Gott weitergeleitet. Die häufigsten Themen seien Partnerschaft (Partnersuche, Eheprobleme), Gesundheit („vom Bauchzwicken bis zur Krebsdiagnose“) und Arbeitsplatz (Mobbing, Jobsuche), sagt Rolf Krüger, der die Digitalredaktion der SCM leitet. Für junge Gläubige betreibt die Stiftung „praybox.net“ (Website und App). Dort beten „Teens für Teens“. So funktioniert Beten in Zeiten des Web 2.0.
Selbstverständlich, schreiben die Betreiber, dürfe sich jeder an Gott wenden. Mehr als 3680 Beter sind bei „amen.de“ registriert: Die Voraussetzung, um für andere beten zu können, sei „ein Herz dafür, die Sorgen anderer Menschen vor Gott zu tragen“. Im April 2013 startete „amen.de“, seither wurden mehr als eine Million Gebete gesprochen und mehr als 35.000 Gebetswünsche formuliert. Den Betreibern sei es, wie Rolf Krüger sagt, wichtig, „Menschen zu helfen, die keine Erfahrung mit dem Gebet haben oder in ihrer momentanen Situation dafür keine eigenen Worte finden“. Durch die App sinke die Hemmschwelle, es mit dem Gebet auszuprobieren.
Anna-Katharina Lienau, die evangelische Theologie an der Universität Münster lehrt, hat verschiedene Online-Gebetsforen untersucht. In vielen erzählten Menschen von ihren Erfahrungen mit Gebeten und Gott. Auf „himmlisch-plaudern.de“ wird auch eine christliche Partnersuche angeboten. Die meisten Nutzer schätzten die Akzeptanz und Offenheit, die ihnen in den Foren begegneten. Das liege auch an der Möglichkeit, sich anonym auszutauschen. So falle es vielen leichter, ihre Ängste und Sorgen mitzuteilen - und religiöse Gefühle. Die Nutzer, mit denen Anna-Katharina Lienau gesprochen hat, lobten die Aufrichtigkeit im Netz und eine besondere Erfahrung von Gemeinschaft.
Direkte Kommunikation mit der Kirchengemeinde
Viele machten keinen Unterschied zwischen „realem“ und „virtuellem“ Beten. Schließlich gehe es um die persönliche Beziehung zu Gott. Auch ein habitualisiertes Verhalten machte Anna-Katharina Lienau aus: So, wie Menschen sonntags in die Kirche gehen, besuchen Gläubige immer wieder Online-Plattformen zum Beten. Es gibt zum Beispiel jeden Abend um 21 Uhr das „Twomplet“. Der Begriff setzt sich zusammen aus dem Wort Komplet – für das traditionelle christliche Abendgebet – und Twitter. Menschen aus der ganzen Welt können mitbeten, so gelinge eine besonders intensive Form des gemeinsamen Betens. Ein weiterer Vorteil sei die Flexibilität. Überall, wo die Verbindung ins Internet möglich ist, kann ein Gebet abgeschickt werden. Die Geste des Händefaltens indes wird von den Nutzern kaum vermisst: Entweder wird gebetet, bevor getippt wird, oder das Tippen selbst wird als meditative Handlung empfunden.
Die katholische und evangelische Kirche haben Apps ebenfalls als Mittel entdeckt, über das sie mit Gläubigen in Kontakt treten können. So betreiben die Evangelische Landeskirche Anhalts, der evangelische Kirchenbezirk Heilbronn, die evangelische Gemeinde Junge Kirche Berlin und die katholische Kirchengemeinde Kalbach eigene Apps. Die Anwendungen informieren über Neuigkeiten aus den Gemeinden und über Gottesdienstzeiten. Einen direkten Kommunikationsweg vom Smartphone in die Kirchengemeinde öffnet die „kircheanhalt“-App.
Es gibt auch einen Social-Media-Pfarrer: Horst Peter Pohl. Über seine Homepage sagt er: „Sie erleichtert nicht meine Arbeit – im Gegenteil, sie macht Arbeit.“ Die Seite „nichtallzufromm.de“ betreibt er seit mehr als zehn Jahren. Er sieht die Religionsausübung im Internet positiv. Mit seinem Blog habe er Zehntausende erreicht. „Zu einem großen Teil sind das Menschen, die ansonsten mit der Kirche nicht viel zu tun haben“, sagt er. Der Pfarrer im Ruhestand hat mehr als 2300 Follower bei Twitter – und begegnet den Menschen so, wie er ihnen auf der Straße begegnen würde. Was er da macht? „Ein Schwätzchen manchmal, sich in Diskussionen einmischen, trösten, ermuntern. Was Pfarrer halt so tun.“