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Auf dem Gamescom Congress : Wo bleibt eigentlich das Spiel?

Games und Leistung: Davon haben viele Menschen ganz unterschiedliche Vorstellungen Bild: Koelnmesse/Gamescom

Beim Gamescom Congress wird viel über das Leistungspotential von Gaming geredet. Doch glücklicherweise zeigt die bunte Auswahl an Referenten, das Videospiele mehr sind als ein Wirtschaftsfaktor oder ein Lehrmittel.

          5 Min.

          Am Rande der Videospielmesse Gamescom, im Congress-Centrum Nord, fand am Donnerstag der dazugehörige „Gamescom-Congress“ statt, auf dem sich Laien und Branchenveteranen ebenso tummeln wie Forscher und Aktivisten, die sich mit Videospielen, deren Potential und der Wirkung auf Mensch und Gesellschaft beschäftigen. Anhand der Tagung lässt sich gut bestimmen, wie zurzeit über Videospiele gesprochen und vor allem, was alles von ihnen erwartet wird.

          Axel Weidemann
          Redakteur im Feuilleton.

          Dem Jahresreport der deutschen Spieleindustrie zufolge beschäftigen sich 59 Prozent der Deutschen gelegentlich mit Videospielen, davon sind 48 Prozent Frauen. Im Durchschnitt sind die Spielerinnen und Spieler 37,6 Jahre alt. Gespielt wird Harmloses: Fußball- und Landwirtschaftssimulationen, „Mario Kart 8“ und „Minecraft“ führen die Liste der Verkaufsschlager an, allein in „Grand Theft Auto V“ geht es rauer zu.

          Man sieht, das Nachdenken über Videospiele wird oft von Zahlen getrieben, die nicht selten Wirtschaftszahlen sind. Diese wiederum rufen Politiker auf den Plan, die im wiederkehrenden Format der „Debatt(l)e Royal“ über Videospiele (oder so) debattieren sollen. Geladen sind Emily Büning (Die Grünen), Mario Czaja (CDU), Bijan Djir-Sarai (FDP) und Kevin Kühnert (SPD). Czaja wird kurzfristig durch den CDU-Mann Thomas Jarzombek ersetzt. Das ist schon das Aufregendste an dieser Runde. Klar, jetzt müssen hier Menschen qua Position gute Miene zum Videospiel machen, obwohl sie gerade wirklich Besseres zu tun hätten – was die Moderatoren Kim Adam und Niklas Kolorz jedoch nicht davon abhält, den wohl „politischsten Multiplayermodus der Gamescom 22“ anzukündigen. Nach einem eher assoziativen Einstieg werden schnell die üblichen Pluspunkte von Videospielen abgehakt, auf die man sich öffentlich und ohne viel Nachdenken einigen kann: Gaming als Möglichkeit zur Teilhabe im Leben für körperlich eingeschränkte Menschen, als Lernmotivator für bildungsfernere Schichten, als sozialer Kitt in Form von E-Sport-Vereinen.

          Spielten dann doch friedlich zusammen: Thomas Jarzombek (CDU) und Bijan Djir-Sarai (FDP) bei der Debatt(l)e Royal auf dem Gamescom Congress.
          Spielten dann doch friedlich zusammen: Thomas Jarzombek (CDU) und Bijan Djir-Sarai (FDP) bei der Debatt(l)e Royal auf dem Gamescom Congress. : Bild: Koelnmesse gamescom

          Der abseits der Salons längst etablierte Status des Videospiels als Kulturgut wird zwar auch hier gern behauptet, doch um Inhalte geht es nicht. Spiele sind vor allem ein bestauntes, aber wenig durchdrungenes Wundermittel für eine irgendwie imaginierte Jugend, die nur noch durch die Gamification ihres Lernalltags zu retten ist. Dass dies ein gewisses Potential birgt, streiten selbst Lehrer kaum ab. Doch so, wie es hier besprochen wird – weil andere Gesprächsansätze fehlen –, klingt es, als könne man die pandemiebedingten Probleme in der Vermittlung des Schulstoffs dadurch beheben, dass Kinder auf ihrem vom Staat bezahlten Tablet ein digitales Fleißbienchen bekommen, wenn sie nur die Farben der deutschen Flagge in die richtige Reihenfolge schieben. Dabei geht es um „mehr“: Mehr „deutsche Spiele“, mehr Geld für den „Gaming-Standort“ Deutschland (im Bundeshaushalt sind für die sogenannte großvolumige Computerspieleförderung jährlich bis zu 50 Millionen Euro vorgesehen), mehr politische Rückendeckung für E-Sports. Über Videospiele zu sprechen, heißt in Deutschland immer noch, voranzustellen, dass man dabei entweder etwas lernt oder etwas verdient. Zwar geht es auch kurz um die Giftigkeit mancher Gaming-Communities und Hassrede, doch bald ist man sich wieder einig (man ist sich überhaupt sehr einig in dieser Nicht-Debatte), dass Bildung und Wirtschaft von dem „Innovationstreiber des 21. Jahrhunderts“ profitieren sollen – ach ja, die Kultur irgendwie auch.

          Glücklicherweise gab es nach diesem blassen Auftakt eine bunte Fülle überhaupt nicht blasser Theorie, im Falle von Nika Avayan und Iryna Bilous allerdings auch Konkretes, um nicht zu sagen Dramatisches: Die beiden Frauen arbeiten beim ukrainischen Studio „Frogwares“, das 2019 mit ihrem Spiel „The Sinking City“ mit einer charmanten Kombination aus Lovecraft-Horror und Detektiv-Abenteuer auf sich aufmerksam machte (F.A.Z. vom 5. August 2019). Sie berichteten im Panel „Development, War and Solidarity“ sichtbar gezeichnet von der täglichen Arbeit in einem „belagerten Land“, von Flucht zu siebt in einem Auto, von der Rückkehr und im Falle von Bilous vom eigentümlichen Gefühl des Heimatverlustes und der erschreckenden Erkenntnis, sich im eigenen Land am sichersten zu fühlen – selbst wenn dort Krieg herrscht. „Vergesst uns nicht“, sagte Bilous zum Schluss.

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