Plagiatsfall bei Springer Vieweg : Auch das ist Datenverarbeitung
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Rechenmaschine von Frank Baldwin aus dem Jahr 1872 Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com
Noch ’n Plagiat: Eine Geschichte der Rechenautomaten hat sich anscheinend großzügig im Netz bedient. Der Verfasser beantwortet die Vorwürfe mit einer überraschenden Unterscheidung.
Nach dem Plagiatsfall bei C.H. Beck wird nun auch der Wissenschaftsverlag Springer mit der unerfreulichen Nachricht konfrontiert, ein mit unsauberen Methoden verfasstes Sachbuch publiziert zu haben. Eine dreibändige „Geschichte der Rechenautomaten“, die er seit 2013 anbietet, bedient sich großzügig aus dem Netz.
Das Bild des integren Akademikers als Gewährsmann für gewissenhaftes wissenschaftliches Vorgehen bekommt dadurch weiter Risse. Als Herbert Bruderer, Informatik-Historiker im Ruhestand von der ETH Zürich, sich daran machte, den ersten Band jener Computergeschichte des ebenfalls emeritierten Informatikers Wolfram M. Lippe von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, für eine Fachpublikation zu rezensieren, wurde er stutzig. Das Werk enthält nämlich Passagen, die er so an anderer Stelle schon mal gelesen hatte, und zwar ganz genau so.
Auffällig und unverständlich
Lippes wissenschaftshistorischer Versuch einer umfassenden Darstellung der Entwicklung von Rechenmaschinen erschien im Dezember 2013 bei Springer Vieweg in Heidelberg und nimmt sich viel vor. „Mit diesem Buch soll ein Einblick in die über 2000jährige faszinierende Geschichte der Datenverarbeitung gegeben werden“, heißt es programmatisch auf der Internetseite des Verlages. Der Autor war Direktor des Institutes für Angewandte und Instrumentelle Mathematik und des Institutes für Angewandte Informatik in Münster, hat sich aber selbst merkwürdiger Methoden der Datenverabeitung bedient. Der erste Band der historisch-technischen Abhandlung - „Von der Himmelsscheibe von Nebra bis zu den ersten Rechenmaschinen“ - weist nach einer vorläufigen Untersuchung eine nicht geringe Anzahl an Übernahmen aus Internetbeiträgen auf. Dabei kann auch bei wohlwollender Betrachtung von bloßer Entlehnung nicht die Rede sein.
Die Online-Enzyklopädie „Wikipedia“ erweist sich als die vorwiegend verwendete, nicht ausgewiesene Quelle. Einfache biographische Schilderungen aus Artikeln zu Konstrukteuren mechanischer Rechenmaschinen, Pioniere der heutigen Informatik wie Jost Bürgi, Wilhelm Schickard oder Giovanni Poleni, finden sich als Versatzstücke wortwörtlich in Lippes Buch wieder. Auffällig und unverständlich - für einen fachkundigen Experten wie Herbert Bruderer, den Autor einer Monographie über Konrad Zuse, aber sofort ersichtlich - ist die Tatsache, dass Lippe für seinen Bericht über die technischen Fortschritte auch auf offizielle, sehr wissenschaftsspezifische Internetpublikationen rekurriert, gleichfalls ohne entsprechende Nachweise.
Von der Museums- bis zu Liebhaberseite
Ein biographischer Abschnitt zu Johann Wilhelm Schuster, der von 1820 bis 1822 ein zylindrisches Räderwerk entwickelte, ist der Homepage des Arithmeums in Bonn entnommen. Das Museum im Forschungszentrum für Diskrete Mathematik verneint eine Mitautorschaft seitens Lippes für die betreffenden Inhalte aus dem Jahr 2002 im Internet. Eine Auflistung von Wissenschaftlern und Maschinentypen im 17. und 18. Jahrhundert stammt aus der virtuellen Ausstellung „Mathematisches Maschinenmuseum“ der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg, findet sich aber ohne Quellenangabe auch bei Lippe wieder. Erhard Anthes vom Institut für Mathematik und Informatik erklärt, der Münsteraner Kollege habe sich „in keiner Weise an der Entwicklung oder an der Gestaltung der in Frage stehenden Tabelle auf der Internetseite der PH Ludwigsburg beteiligt“.
Diese stammt nämlich aus einer Publikation von Anthes aus dem Jahr 2001. Lippe wendet sich aber auch Hobby-Liebhabern mechanischen Rechnens zu, Informatik-Cracks, die private Websites zum Thema betreiben. Kleinere Bruchstücke des Aufsatzes von Stephan Weiss „Die Multipliziermaschine Millionär - Original und Modell“, aktuell auf seiner Seite mechrech.info abrufbar, sowie der Artikel zu dem Barock-Astronomen Wilhelm Schickard auf begriffslogik.de von Andreas Otte können auch bei Lippe, weil im Wortlaut exakt übernommen, gut identifiziert werden.
Eine überraschende Unterscheidung
Des Eindrucks, dass es sich bei der „Geschichte der Rechenautomaten“ um eine lumpige Textcollage handelt, kann man sich aufgrund Bruderers Recherche schwer erwehren. Von der Bastelei und der Ferne zur seriösen, wissenschaftlichen Richtschnur ahnt der fachfremde Leser aber nichts, wenn er den beeindruckenden, reich bebilderten Überblick über die Geschichte der Informatik in den Händen hält. Der Anschein anständig gesicherter Fakten, einer wissenschaftlich fundierten Konzeption und Anfertigung ist gegeben. Umso mehr sind die leichtsinnigen Aneignungen zu beklagen. Man möchte unterstellen, dass das Abkupfern sprachlich verhältnismäßig einfacher Texte über, nun ja, eigentlich überschaubare historische Fakten und Zusammenhänge pro scientia für einen Forscher von Lippes Kaliber mehr als unnötig war.
Erst vergangene Woche hatte der Münchner Verlag C.H. Beck das Buch „Große Seeschlachten. Wendepunkte der Weltgeschichte von Salamis bis Skagerrak“ von Arne Karsten und Olaf B. Rader aus dem Verkauf genommen, nachdem massive, nicht vermerkte Übernahmen aus der „Wikipedia“ durch einen Leser auf Facebook bekanntgemacht worden waren.
Hermann Engesser, Programmleiter im Bereich Informatik bei Springer, konstatiert in Lippes erstem Band nur „in wenigen Fällen Übereinstimmungen in Fakten und Formulierungen“ mit Inhalten aus dem Internet, diese machten weniger als ein Prozent aus. Überraschend fällt die Stellungnahme des Autors aus. Bei seinem Buch handle es sich, so Wolfram M. Lippe, nicht um ein wissenschaftliches Werk, sondern um ein Fachbuch. Ein Fachbuch, so definiert er, bestehe etwa zu achtzig Prozent aus Daten, während ein wissenschaftliches Werk durch die didaktische Aufbereitung des Verfassers mehr geistiges Eigentum enthalte. Den Wissenschaftsverlag Springer dürfte diese feine Unterscheidung interessieren. Daten, so Lippe weiter, seien „Allgemeingut“, bloße Fakten, und unterlägen nicht dem Urheberrecht. Es gebe nur eine „beschränkte Möglichkeit im Deutschen“, diese Daten sprachlich auszudrücken.