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Ein Insiderbericht : Wie das Fernsehen Autoren vernichtet

  • -Aktualisiert am

Die Qualität unseres Fernsehens hängt auch von den Schreibern ab. Die werden miserabel behandelt. Es herrscht ein Regiment der Einfallslosen, die auf die Quote schielen und die „Stars“ hofieren. Ein Insiderbericht.

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          Der Satz war verblüffend, doch niemand im Raum fand ihn ungewöhnlich: „Herzlichen Dank, dass Sie uns Ihr Werk anvertrauen“, hatte die Leiterin des Verlages, der meinen ersten Roman veröffentlichen wollte, zu mir gesagt. Herzlichen Dank, dass Sie uns Ihr Werk anvertrauen.

          Einen solchen Satz hatte ich in den zehn Jahren, die ich als Drehbuchautor in der Fernsehbranche unterwegs bin, noch nie gehört. Hier klang das anders. Meine erste Regiebesprechung zum Beispiel, ein „Tatort“. Der Regisseur begrüßte mich knapp und sagte dann – sinngemäß – mit Blick auf das Drehbuch, er hätte noch nie zuvor einen solchen Mist gelesen. Legendär in meiner Erinnerung ist auch jene Drehbuch-Besprechung, bei der mir die überraschend dazugeladene Hauptdarstellerin einen Stapel Manuskriptseiten in die Hand drückte, auf denen sie kurzerhand einen großen Teil meines Drehbuchs umgeschrieben hatte, goutiert von der Redaktion, die das Vorgehen in Ordnung fand.

          Es gab auch andere, positive Episoden

          Oder jenes Krimi-Drehbuch, das nach einer genauen schriftlichen Inhaltsangabe von der Produzentin und dem Redakteur entstanden war und dessen Abnahme dann von beiden verweigert wurde – wegen inhaltlicher Mängel. Bizarr auch der 11. September 2001, als die Welt geschockt vor dem Fernseher saß und erlebte, wie in New York die Twin Towers einstürzten, während ich mit meinem Koautor in einem Büro der Produktionsgesellschaft saß, um auf Drängen der Produzentin ein Drehbuch umzuschreiben, ganz dringend und ganz wichtig. Eine groteske Situation. Das Buch wurde nie realisiert.

          Fordert mehr Verantwortung für Drehbuchautoren: Markus Stromiedel
          Fordert mehr Verantwortung für Drehbuchautoren: Markus Stromiedel : Bild: Volker Lannert

          Es gab auch andere, positive Episoden. Der Einsatz der „Tatort“-Redakteurin zum Beispiel, die das als Mist bezeichnete Drehbuch vehement gegen den Regisseur und die Produktionsfirma verteidigte, so dass das Buch weitgehend so verfilmt wurde, wie ich es geschrieben hatte. Der Krimi wurde der erfolgreichste Fernsehfilm des Jahres.

          Verschlissen in Konferenzen und Gremien

          Doch die negativen Erlebnisse sind symptomatisch für einen Geist, der in der Fernsehbranche herrscht und der meines Erachtens schuld daran ist, dass wir mit unserem fiktionalen Fernsehprogramm Zuschauer verlieren, schleichend, aber deutlich. Im Selbstverständnis vieler Macher und Entscheider sind Fernsehautoren Erfüllungsgehilfen ihrer eigenen konkreten Vorstellungen. Nicht das Unerwartete wird gesucht, sondern das Vertraute, das Gewohnte, zwar in stets neuem Gewand, im Kern aber gleich. Nicht Neugier und Wagemut bestimmen das Handeln, sondern der Wunsch, einen kreativen Prozess fest im Griff zu haben, von der Idee bis zum fertigen Produkt.

          Das Ergebnis ist die Variation des Immergleichen. Courage, Begeisterung, die Lust am Neuen – doch, die gibt es, mehr als man denkt, aber sie wird verschlissen in Konferenzen und Entscheidungsgremien, sie wird betäubt durch Quotendruck und die Angst vor Misserfolg. Das Fernsehen mit seinen großen Möglichkeiten droht in ängstlicher Stagnation zugrunde zu gehen.

          „Frauenaffin“ ist ein Wort, das jeder Schreibende kennen muss

          Ein guter Drehbuchautor ist darauf trainiert, sich anzupassen: an den Markt, die Zuschauer, die Erwartungen der Auftraggeber. „Frauenaffin“ ist ein Wort, das jeder für das deutsche Fernsehen Schreibende kennen muss, genau wie die ungeschriebenen Gesetze eines jeden Sendeplatzes. Hier muss das Verbrechen in der ersten Minute geschehen, dort darf der Film nur am Tag beginnen und nicht in der Nacht. Eine weibliche schicksalsgebeutelte Heldin spricht mehr Zuschauer an als ein männlicher Held, „Heimat“ heißt Berge oder Küste, und wenn es mal krachen darf, dann überall, nur nicht in der Story.

          Politik geht nicht, Science-Fiction schon gar nicht, Fantasy bei Privatsendern, aber auch das nur mit Bauchschmerzen. Schicksalsstunden deutscher Geschichte eignen sich als „TV-Event“, aber bitte „frauenaffin“ mit weiblicher Heldin, die in sieben von zehn Fällen zwischen zwei Männern steht. Ansonsten wird geliebt, entliebt, ein neues Leben begonnen, gerne von Frauen um die vierzig, die von ihren Männern verlassen worden sind. Und es wird gemordet, was das Zeug hält, die Zuschauer erwarten das angeblich. Ein Krimi ohne Leiche geht nicht.

          Große Erfolge sind kein Garant für ein Folgeprojekt

          Wie eine Erholung erscheint einem Drehbuchautor die Buchbranche: Wer es geschafft hat, die Aufmerksamkeit eines Verlages zu wecken, erfährt neben der Freiheit, zu schreiben, was er möchte, vor allem eines: Anerkennung seiner Arbeit – etwas, das selbstverständlich scheint, das jedoch für einen Drehbuchautor keine Selbstverständlichkeit ist. Eine Fernsehproduzentin, die auch als Verlegerin gearbeitet hat und sich als Beraterin im Buchgeschäft bewegt, drückt es so aus: Die Buchbranche sei beileibe kein Kindergarten, doch man begegne sich bei allem Geschäftssinn mit Höflichkeit und Wertschätzung. Und, fügt sie hinzu, die Rechte der Autoren, vor allem die Urheberrechte, würden ernst genommen. Aus gutem Grund: Ohne Autoren bricht das Geschäft zusammen. Deshalb pflegen die Verlage ihre Autoren – jene, deren Arbeit sie schätzen, und jene, die erfolgreich sind.

          Ganz anders beim Fernsehen. Selbst große Erfolge sind kein Garant für ein Folgeprojekt: Entspricht der Pitch, also der Storyentwurf, nicht den Vorstellungen des Auftraggebers, werden andere gesucht, die die Erwartungen erfüllen müssen. Zwei Filmfiguren aus meiner Feder sind nach erfolgreichen ersten Filmen Reihenfiguren geworden – ich habe für diese Reihen keinen einzigen weiteren Film geschrieben. Und das ist kein Einzelfall, Kollegen geht es genauso.

          Der Produzent im Fernsehgeschäft spielt den Kutscher

          Woran liegt das? Warum erfahren Autoren in der Fernsehbranche nicht eine ähnliche Wertschätzung wie in der Buchbranche? Meine Antwort ist: Der Erfolg und die Qualität eines Filmes – und nur der wird am Ende beurteilt – ist beim Fernsehen entkoppelt von der kreativen Leistung des Autors. Die Produktionsgesellschaften und Sender sehen sich während des Entstehungsprozesses eines Drehbuches nicht als Geburtshelfer einer kreativen Leistung, sondern als Lenker und Entscheider. Anders der Lektor eines Buchverlages, mit ähnlich viel Macht ausgestattet wie ein Producer: Er versteht sich als Begleiter des Autors bei der Suche nach der Geschichte, er steht ihm fördernd zur Seite.

          Ein Producer oder Produzent im Fernsehgeschäft hingegen ist der Kutscher, der sich vom Autor den von ihm vorgegebenen Weg hinaufziehen lässt. Lahmt ein Pferd oder kommt es vom ausgetretenen Pfad ab, wird es gewechselt. „Das ist meine Film-Reihe“, hat mir einmal eine Produzentin gesagt, nachdem es zwischen uns einen Dissens über Stil und Inhalt der weiteren Folgen des erfolgreichen ersten Filmes gab. Das Gefühl „Das ist meins!“ nährte sich allein aus dem Umstand, dass sie die Idee oder den Auftrag hatte, einen Film mit einem bestimmten Schauspieler an den Start zu bringen.

          Ergebnis: kein weiterer Auftrag

          Nun ist ein Drehbuchvertrag besser als kein Drehbuchvertrag, kann man aus wirtschaftlicher Sicht einwenden. Aber aus künstlerischer Sicht? Sollte man als Drehbuchautor nicht widersprechen und für seine Ideen kämpfen?

          Widerspruch lohnt sich nicht. Zweimal in zehn Jahren habe ich es mit Nachdruck versucht, und nach langen Auseinandersetzungen entstanden gute Bücher für sehr erfolgreiche Filme. Aber danach galt ich als schwieriger Autor – und wer möchte schon mit schwierigen Autoren zusammenarbeiten? Ergebnis: kein weiterer Auftrag.

          Den Autoren Verantwortung überlassen

          Jetzt daraus zu schließen, dass man als Drehbuchautor besser in die Buchbranche wechselt, ist folgerichtig – und zugleich fatal. Denn genau wie die Buchbranche lebt das fiktionale Fernsehen von der Kraft der Autoren. Aufzuhören ist der falsche Weg. Die Kunst besteht darin, die Lücken im System zu entdecken und die richtigen Menschen zu finden, mit denen Projekte möglich sind, die sich abheben vom täglichen Einerlei. Es gibt diese Menschen. Sich gegenseitig zu finden braucht Beharrlichkeit und Zeit. Doch es lohnt sich.

          Solche Begegnungen führen immer wieder zu großartigen Filmen, es könnten aber noch viel mehr sein. Es könnten Dinge entstehen, die wir nicht erwarten, es könnten Filme und Serien realisiert werden, die uns von den Socken hauen. Es müsste nur – so wie in den Vereinigten Staaten – die Bereitschaft geben, Autoren Verantwortung zu überlassen. Und es bräuchte den Mut, Projekte an den Start zu bringen, die anders sind als das, was bisher erfolgreich war. Möglicherweise irre ich mich, und das Programm würde nicht erfolgreicher. Aber eines wäre es nicht: langweilig.

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