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Ein Film über Googles Macht : Es ist an der Zeit, den Stecker zu ziehen

  • -Aktualisiert am

Ein neuer Film über Google zeigt, wie aus der Idee des freien Internets ein räuberisches Geschäftsmodell wurde. Sein Endzweck ist ein weltumspannendes Großgehirn.

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          Ein aktueller Film, der das Unternehmen Google darstellt und alle inhaltlichen Erklärungen an der Dramatik rund um „Google Books“ festmacht, ist wie ein Film über Ford, der es bei der Erfindung des Fließbands belässt: eigentlich nur historisch interessant. Aber was schon für die Automobile gilt - dass nämlich in der initialen Idee fast alles steckt, was sie bis heute ausmacht -, trifft auch auf Google zu. Der Film „Google und die Macht des Wissens“ von Ben Lewis wendet sich dem Internetgiganten zu, ohne sich von ihm überrumpeln zu lassen, und beschreibt beeindruckend anhand eines einzigen Problems, was mit der Welt, in der wir leben, nicht mehr stimmt.

          Es sind zwei Verwaltungsangestellte, die Direktoren der Universitätsbibliotheken von Harvard und Oxford, Robert Darnton und Richard Ovenden, die in diesem Film gezeigt werden. 2300 Jahre nach dem ersten Versuch im ägyptischen Alexandria, eine Bibliothek als Weltgedächtnis zu erschaffen, werden sie infiziert von der Idee einer digitalen Universalbibliothek: exakt und vollständig, überall verfügbar. Google-Manager tragen sie ihnen vor. Der Abschrift, der gedruckten Kopie und dem Mikrofilm wolle der Konzern folgen und die alte Utopie endlich verwirklichen. Laut Google-Gründer Sergey Brin trat Larry Page, der andere Gründer, schon vor der Jahrtausendwende mit dieser Idee an ihn heran. 2004 ging es los, die siebzehn Millionen Bücher der Harvard-Bibliothek sollten die ersten sein.

          Ein Heilsbringer?

          Allein war Google mit der Idee nicht. Brewster Kahle, der Gründer des „Internet Archive“, unternahm zur selben Zeit einen ganz ähnlichen Versuch. Er trat sogar an Google heran, um gemeinsam umzusetzen, was er in diesem Film als die Mondmission seiner Generation beschreibt. Google allerdings blieb lieber solo, handelte geheime Verträge mit Bibliotheken aus und begann Bücher per Container an geheime Orte zu verschicken, um sie mit einem eigens entwickelten, ebenso geheimen Verfahren zu scannen. Um eine Mondmission ging es dabei nicht, stattdessen sollte die Wissensgrundlage für eine künstliche Intelligenz geschaffen werden. Diese Antwort entlockte einmal Kevin Kelly, der „Wired“-Mitgründer, Larry Page. Es gelang ihm wahrscheinlich, weil Kelly, der dem Internet heiligen Status zuspricht, in noch größerer Erwartung der neuen Gehirne ist, als die Google-Gründer es sind.

          Auch Ray Kurzweil, der mit seinen Erfindungen des musizierenden Synthesizers und des Schrift verstehenden Scanners die digitalen Technologien bis heute prägte, kommt zu Wort. Er sehne den Zeitpunkt herbei, an dem sich die Grenzen von Natur und Technik in der „Singularität“ auflösten, blutzellengroße Computer durch seinen Körper strömten und er sein Gehirn direkt mit dem Internet verkabeln könne. Doch so weit ist es noch nicht.

          Oder nur ein Unternehmen?

          Es ist der achtundzwanzigjährige Ideologiekritiker Jewgenij Morosow, der Kurzweil und Kelly, beide über sechzig Jahre alt, daran erinnert, dass Google kein Utopien verwirklichender Heilsbringer, sondern ein kühl kalkulierendes Unternehmen ist. Und damit sollte er recht behalten. Denn aus der versprochenen Universalbibliothek wurde ein Buchladen, der sich - ganz profan - ein digitales Exklusivrecht an vergriffenen Büchern sicherte und Autoren von urheberrechtlich geschützten Werken mit sechzig Dollar pro Buch abspeiste.

          Der Heidelberger Literaturprofessor Roland Reuß, der das alles nicht glauben möchte, spricht im Film über seine Angst um Europa. Der ehemalige Direktor der französischen Nationalbibliothek, Jean-Noël Jeanneney, berichtet davon, wie das Google-Personal auf ihn zukam, mit Arroganz und Geschäftssinn und einem großen Missverständnis, was die Welt der Bücher in ihrem Wesen ausmache.

          Die Utopie verlor sich überall, insbesondere in den Bibliotheken von Harvard und Oxford, in einer Enttäuschung, die nicht nur darin besteht, dass Google Geld mit der Arbeit von Menschen verdient, die dem Unternehmen fremd und gleichgültig sind. Es sind vielmehr wenige Annehmlichkeiten, die nur zum Preis eines anonymen und supergeheimen Datenspeichers möglich sind, der wissen will, was in der Menschheitsgeschichte geschrieben wurde, und detailliert mitprotokolliert, wie die Menschen diese Werke heute lesen.

          Eine Lösung für diese Misere steht aus. Nur der einen Seite, den Google-Gläubigen, fallen die Antworten wie immer leicht. Man solle eben den Stecker ziehen und sich in den Bergen verstecken, wenn man das alles nicht wolle, rät Kevin Kelly. Eine hoffnungsvollere Antwort aber versteckt sich im maschinenunlesbaren Subtext, nämlich in den Gesichtern: im gelangweilten und verbitterten von Kevin Kelly und in dem leidenschaftlichen und erzürnten von Roland Reuß.

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