Geschäftsmodell Netflix : Sehen und gesehen werden
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„Gentefied“ Bild: Kevin Estrada/NETFLIX
Vielfalt ist nicht nur gut fürs Geschäft, sondern das Geschäft selbst: Der Streaming-Dienst Netflix setzt Diversität ins Szene – und erschließt sich damit ein wachsendes Publikum. Wann ziehen die traditionellen Fernsehsender nach?
Aus dem Fernsehen konnten wir das Farbigsein weiß Gott nicht lernen. Ein farbiges Gesicht im Fernsehen überhaupt zu sehen war ein Ereignis“. Das schreibt Henry Louis Gates jr. in seiner Autobiographie „Farbige Zeiten“ aus dem Jahr 1994. Darin erzählte der amerikanische Historiker von der fast totalen Unsichtbarkeit der Afroamerikaner im Fernsehen seiner Kindheit. Gates, später Professor an der Universität von Harvard, wuchs im West Virginia der fünfziger Jahre auf. In jenen seltenen Fällen, in denen auf dem Bildschirm jemand zu sehen war, der oder die so aussah wie er selbst, wurde das ganze Viertel in Aufregung versetzt. Die Nachbarn, erinnert sich Gates, stürzten zum Telefon, um einander zu benachrichtigen: „Farbig, farbig, im zweiten Programm!“
Diese Zeiten, in denen es einem Wunder glich, wenn Vertreter sogenannter „Minderheiten“ im Fernsehen auftauchten, sind zum Glück vorbei. Zumindest in den Vereinigten Staaten, wo die Bewegung hin zu einer stärkeren Diversität in Fernseh- und Kinoproduktionen inzwischen unaufhaltsam ist. Die Zahlen des „Hollywood Diversity Report“, erstellt von der University of California in Los Angeles (UCLA), scheinen das zu belegen: Demnach betrug der Anteil ethnischer Minderheiten an Filmhauptrollen im Jahr 2019 27,6 Prozent.
Das ist immer noch eine bescheidene Zahl, wenn man bedenkt, dass diese Minderheiten bald die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung ausmachen werden. Aber noch 2011 waren es nur 10,5 Prozent gewesen. Im Fall weiblicher Hauptrollen ist der Anteil im gleichen Zeitraum von 25,6 sogar auf 44,1 Prozent gestiegen.
Was das bedeutet, kann man derzeit nirgendwo deutlicher sehen als auf Netflix. Innerhalb von zehn Jahren ist der amerikanische Streamingdienst zum Vorreiter und Leitbild dessen geworden, was Diversität auf dem Bildschirm bedeuten kann.
Globale Perspektiven, globale Geschichten
Als „Orange Is The New Black“, eine der ersten Netflix-Produktionen überhaupt, im Jahr 2013 Premiere feierte, wirkte diese Serie über die Schicksale sehr unterschiedlicher Insassen eines Frauengefängnisses wie eine Fernsehrevolution. Heute, mit Serien wie „Glow“ über ein weibliches amerikanisches Wrestlingteam, oder den „Telefonistinnen“, einer spanischen Produktion über die Angestellten einer Telekommunikationsfirma in Madrid der zwanziger Jahre, sind solche Figuren zum Standard im Programm geworden.
Und das sind nur zwei Serien von vielen. Denn da gibt es ja auch noch die Hip-Hop-Chronik „The Get Down“, oder die Sitcom „Master of None“ mit dem amerikanischen Komiker Aziz Ansari, der indisch-tamilischer Abstammung ist; oder den Politthriller „Messiah“, über einen arabischstämmigen Heiland im 21. Jahrhundert, oder die großartige, erschütternden Miniserie „When They See Us“ über den Justizskandal um fünf unschuldige afroamerikanische und Latino-Teenager, die im Jahr 1989 verurteilt wurden, eine Frau im New Yorker Central Park vergewaltigt zu haben.
Oder die böse, lustige Serie „Dear White People“, die sämtliche Konflikte um politische Korrektkeit und Identitätspolitik auf dem Campus eines Elite-Colleges clever aushandelt. All diese Produktionen sind internationale Erfolge. Was zeigt, dass sich der Anspruch auf Mainstream und die Repräsentation sogenannter „Non-Whites“ oder People of Color im Entertainment einfach nicht ausschließen.
Im Übrigen gilt das auch fürs Kino: Nach dem Bericht der UCLA schnitten im Jahr 2019 jene Filme an den Kassen am besten ab, bei denen jene oben beschriebene Minderheitenquote zwischen 41 und 50 Prozent lag.