https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/digitale-bibliothek-internet-archive-13614849.html

„Wayback Machine“ : Netz-Gedächtnis der Menschheit lagert in einer Kirche

  • -Aktualisiert am

Wer das Internet archivieren will, braucht hohe Rechenleistung und viel Speicherplatz. Bild: obs

Die Organisation „Internet Archive“ will das ganze Internet archivieren. Geht das? Wer profitiert von der Sammlung? Und wer kann die rasant wachsende digitale Bibliothek auf Dauer führen?

          5 Min.

          Das Gedächtnis des Internets hat einen Ort: In einer unscheinbaren Nebenstraße in San Francisco, zwischen Zypressen und Einfamilienhäusern, steht ein weißgetünchter Monumentalbau im neoklassischen Stil, mit Säulen und Bögen. Hier, in einer ehemaligen Kirche, residiert das Internet Archive. Das Gros der Besucher steuert nicht die physische Adresse in der Funston Avenue an, sondern die Internetadresse www.archive.org. Die Non-Profit-Organisation wurde 1996 von dem Informatiker Brewster Kahle gegründet und versteht sich als digitale Bibliothek. „Universaler Zugang zum Wissen“ lautet ihr Leitsatz. Die „Wayback Machine“ ist das Herzstück dieses Projekts, ein Roboter, der unermüdlich das Netz nach Seiten durchpflügt. 435 Milliarden Websites wurden über die Jahre gespeichert. Und täglich werden es mehr. Jeder kann per Mausklick eine neue Quelle hinzufügen. So wie Staatsarchive alte Bücher sammeln, kollektioniert das Internet Archive alte Websites.

          Die Website hat mit Screenshots die Homepages archiviert, zum Teil auch weiterführende Links. Man staunt, wenn man einen Blick in die digitalen Archive wirft. Alte Homepages mit Familienfotos tauchen auf, Nachrichtenseiten im Old-School-1.0-Format. Von „Spiegel Online“ ist die Startseite vom 13. September 2001 überliefert, zwei Tage nach dem Terroranschlag, mit dem Aufmacher: „Lebte einer der Terrorpiloten in Hamburg?“ Es ist eine Zeitreise zurück in die Geschichte des Internets. Die inzwischen eingestellte „Financial Times Deutschland“ berichtete am 28. Mai 2002 in ihrer Online-Ausgabe: „Nato und Russland beenden Kalten Krieg.“ Zeitgeschichte, festgehalten in einem Screenshot. Am 13. August 2008 erstrahlt die Homepage der Dresdner Bank in grünem Glanz. Heute ist die Homepage tot, die Dresdner Bank wurde an die Commerzbank verkauft. Internet Archive ist das Google historischer Homepages, und es ist verblüffend, wenn Suchergebnisse auftauchen, die man heute gar nicht mehr findet.

          Kurze Ewigkeit

          Die durchschnittliche Halbwertszeit einer Website beträgt rund hundert Tage. Das ist ein zwiespältiger Befund, schließlich meinen wir, das Netz vergesse nie. Was einmal im Netz landet, hat Bestand, ist eingemeißelt für die Ewigkeit – denkt man. In Wirklichkeit werden haufenweise Seiten gelöscht. 2006 sagte der jetzige britische Premier David Cameron in einer Rede, Google demokratisiere die Welt, „weil es den Menschen Informationen zugänglicher macht“. Sieben Jahre später nahmen die Torys zehn Jahre Redematerial von ihrer Website, inklusive der genannten. Was interessiert schon das Geschwätz von gestern? Das Portal BuzzFeed löschte mehr als 4000 Artikel seiner Redakteure, angeblich, weil sie mit der Zeit immer lächerlicher und dümmlicher wirkten. Social-Media-Posts, öffentliche Einträge – im Internet ist manches doch vergänglich. Wenn man eine Seite aufruft, die nicht mehr existiert, meldet der Browser lapidar: „Diese Seite konnte nicht gefunden werden. Page not found.“ Nicht finden heißt: nicht existieren. Oberflächlich besehen. Denn irgendwo in den Tiefen lagern die Informationen noch, auf Servern oder in alten Ordnern. Man kann sie nur nicht einsehen. Die sichtbare Seite wurde überschrieben, wie bei einem Taschenrechner. Überschreiben bedeutet: alte Daten durch das Speichern neuer zu zerstören.

          Weitere Themen

          Auf Lastenfahrradjagd

          Kinderbuch von Frida Nilsson : Auf Lastenfahrradjagd

          Eine herrlich dramatische Reise mit einem verloren geglaubten Freund: Frida Nilssons Kinderbuch „Krähes wilder Piratensommer“ zieht alle Register.

          Topmeldungen

          Der ehemalige „Bild“-Chef Julian Reichelt

          Vorwurf der Täuschung : Springer will von Reichelt 2,2 Millionen Euro

          Der Springer-Verlag verklagt den früheren „Bild“-Chef Julian Reichelt. Er habe gegen seinen Abfindungsvertrag verstoßen. Reichelts Anwalt weist die Vorwürfe zurück – und gibt Einblick in Springers angebliche Methoden.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.