Digi auf Talfahrt
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Hatte angesichts der Weltlage wenig konkretes zu verkünden: Bundeskanzler Olaf Scholz auf der Re:publica 2022 Bild: Imago
Auch auf der Re:publica 2022 macht man sich Gedanken über die digitale Gesellschaft und wie man sie verbessern kann. Selbst der Bundeskanzler kommt vorbei, bleibt angesichts der geopolitischen Großlage jedoch weitschweifig.
Über das, was im und mit dem Internet passiert, bestimmen im Wesentlichen drei Akteure: Konzerne, die neben ihren digitalen Plattformen zunehmend mehr Infrastruktur und die für sie passgenaue Hardware zur Verfügung stellen, darüber hinaus vermehrt für Inhalte sorgen – seien es nun eigene Serien oder Videospiele. Auch die Politik versucht ein Wörtchen mitzureden; was aber von der dritten großen Einflusssphäre, der Gemeinschaft der Nutzer, kaum wahrgenommen oder aber gern belächelt wird.
Wahrgenommen werden soll all das auf der Netz- und Digitalkonferenz Re:publica. Nach gut zwei Jahren, in denen sie als Videostream stattfand, freuten sich die Gründer Johnny Haeusler, Tanja Haeusler, Andreas Gebhard, Markus Beckedahl am Mittwoch, dass man sich nun wieder im „real life“, das heißt auf dem Areal der Arena Berlin und dem Festsaal Kreuzberg treffen konnte. Trotzdem, das machte Tanja Haeusler rasch klar, sei man müde geworden. Müde ob der mantraartig vorgetragenen Forderungen, die sich seit Gründung der Konferenz im Jahr 2007 stets wiederholen müssten, weil sich so wenig bewege. Ob nun in Sachen Netzausbau oder Überwachung der Überwacher. „Any Way the Wind Blows“ lautet denn auch das Motto der Re:publica 2022, deren Wirklichkeit durch vier große Krisen bestimmt wird, wie sie Markus Beckedahl am Mittwoch aufzählte: die Klimakrise, der Angriffskrieg auf die Ukraine, Corona („es ist noch nicht vorbei“) und gezielte Desinformationen. Auch deshalb hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz für Donnerstag angekündigt, um der Netzgemeinde zu erzählen, wie es damit und in Deutschland digital vorwärts gehen könnte.
Unübersichtliches Geflecht aus Kompetenzen
Zunächst aber versuchte Markus Beckedahl zu klären: „Wie steht’s um die Digitalpolitik? Neue Regierung, neues Glück?“ In einem wilden Ritt durch die Errungenschaften und Probleme im Zusammenspiel zwischen Politik und Netzwelt rekapitulierte er den Status quo: Die zahlreichen Minister, die CDU/CSU ins Neuland geschickt hätten, aber auch Sigmar Gabriel als Wirtschaftsminister der SPD hätten zwar viel von Digitalstrategie gesprochen, aber wenig gehalten. Auch der neue Koalitionsvertrag enthalte überwiegend das, was auf der Re:publica „schon seit Jahren gefordert“ wurde. Doch der Verzicht auf sogenannte Hackbacks, bei denen Regierungsbehörden auf Computer privater Nutzer zugreifen, der Verzicht auf sogenannte Staatstrojaner, aber auch das Recht auf Anonymität im Netz drohten erneut im unübersichtlichen Geflecht aus Kompetenzen unterzugehen. Als Hauptproblem markierte Beckedahl, dass „in der ersten Reihe“ schlicht niemand „motiviert“ sei, eine fundierte Digitalstrategie umzusetzen.
Dem hätte der Bundeskanzler Olaf Scholz am Donnerstag vermutlich gerne widersprochen, vermochte es jedoch nicht. Angesichts des Krieges im Osten dominierten in seiner Rede und dem anschließenden Gespräch vor allem wirtschaftliche und sicherheitspolitische Aspekte. Zwar sprach Scholz fast schon auf rührende Weise davon, was das „Internet groß gemacht“ habe (freier Datenfluss und freier Zugriff auf Informationen) und dass es sich zunehmend um ein „Splinternet“, also einen durch unterschiedliche Regeln und Zugriffsrechte zersplitterten Informationsraum handele, doch gingen alltägliche Probleme wie Hassrede und die Schaffung von Medienkompetenz bei Jüngeren, obwohl genannt, in der geopolitischen Großlage unter.
Erkannt hatte Scholz etwas, das sich auch die Re:publica seit Jahren auf die Fahnen und Banner geschrieben hat: Es gelte, das Internet als „progressiven demokratischen Raum zu schützen“. Wie? Einerseits indem man mit einem verbesserungswürdigen Digital Services Act vom „Rule Taker zum Rule Maker“ werde: „Geltendes Recht muss durchgesetzt werden.“ Andererseits indem man „die eigene digitale Souveränität bewahre“, und zwar darüber, welche Technologien man aus anderen Ländern beziehe und welche man selbst vorhalte. Womit im Folgenden unfreiwillig klar wurde, was immer noch im Zentrum deutscher Digitalstrategien steht: die Wirtschaft. Denn als digitale Erfolgsgeschichte Deutschlands musste dann herhalten, dass der Chiphersteller Intel nun in Magdeburg produziert. Auf die Frage der Moderatorin Linda Zervakis, wie gut Deutschland gegen Cyberangriffe geschützt sei, konnte Scholz jedoch nur auf „Analysen und Gespräche“ verweisen, die schon dafür sorgten, dass man die Sache – wie immer – „im Blick“ habe.