Die Zeitung im Onlinezeitalter : Aufs Paket kommt es an
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Die Zeitungskrise forderte bereits einige Opfer Bild: dpa
Die Krise der Zeitung beruhe darauf, dass das Internet das Medium Papier überflüssig mache, meinen viele. Aber wer Zeitung mit Printmedium gleichsetzt, hat das Wesen der Zeitung nicht verstanden.
Was ist eine Zeitung? Ist sie ein Stapel großer bedruckter Papierblätter, zusammengehalten durch gemeinsame Faltung, der, pünktlich zum Frühstück, morgens in die Briefkästen der Abonnenten verteilt wird? Wenn das so wäre, dann ist tatsächlich das baldige Ende aller Zeitungen zu erwarten - denn die Verteilung von Texten auf diesem Wege ist von Anfang an nichts weiter als Kompromiss gewesen, bei dem sich der Leser die gewünschte Aktualität durch Unhandlichkeit erkauft. Der Produktionsprozess macht es notwendig, möglichst große Papierbögen zu bedrucken, deren Lesbarkeit auf beschränktem Raum oder unter widrigen Bedingungen jedoch arg eingeschränkt ist.
Das Internet schafft die Möglichkeit der schnellen Verbreitung von Texten und Bildern ohne das Medium Papier. Das führt, so meinen viele, zu einer Krise der Zeitung - sie werde nicht mehr benötigt. Die Zeitungshäuser suchen nach Gründen, warum Leser weiterhin ihr Produkt abonnieren oder an Kiosken erwerben sollten. Die Qualität der Recherche und der journalistischen Analyse der Redakteure wird gern als besonders schützenswert genannt - das, so meinen die Vertreter der Druckmedien, könnten Leute, die im Internet, sei es in Blogs oder in reinen Online-Magazinen, ihre Texte anbieten, nicht leisten.
Aber wer Zeitung mit Printmedium gleichsetzt und damit von den Onlinetext-Portalen abzugrenzen sucht, hat das Wesen der Zeitung nicht verstanden. Das bedruckte Papier ist der Zeitung nur äußerlich, es trifft ihren Charakter nicht im Kern. Schaut man hinter diese Form, dann ist die Zeitung ein periodisch, zu einem bestimmten Termin erscheinendes und gestaltetes Text-Bild-Paket. Die Frage ist nicht, ob das Bedrucken von Papier noch zeitgemäß ist, sondern ob das Ergebnis einer solchen Bündelung - in der IT-Branche würde man sagen, der „Paketierung“ - von Text-Bild-Zusammenstellungen noch eine Chance auf dem Markt der Nachrichten und Meinungen hat.
Das Besondere der Zeitung ist der Redaktionsschluss
Was eine Zeitung von einem beliebigen Nachrichten- oder Meinungsportal unterscheidet, ist, dass der Lebenslauf des einzelnen Artikels nicht losgelöst ist von den anderen, gleichzeitig entstehenden Artikeln. Die Zeitung passt sich dem Lebensrhythmus ihrer Leser an. Sie setzt sich Termine, die unabhängig vom Weltgeschehen sind. Ein Vorfall, der zu spät stattfindet, um in einem ausführlichen Text gewürdigt zu werden, schafft es in die nächste Ausgabe nur als kurze Nachricht. Der Takt der Tages- oder Wochenzeitung zeigt: Was wirklich wichtig ist, hat auch Zeit - Zeit, die benötigt wird, damit der Autor die Nachricht einordnen, bewerten und den Hintergrund recherchieren, ein Bildredakteur die passenden Fotos beschaffen und ein Graphiker Fakten visualisieren kann.
Viele Menschen, die eine Zeitung lesen wollen, tun dies zu einem bestimmten Zeitpunkt im Tagesablauf, und zu diesem wünschen sie sich das Paket der Informationen, Hintergrundanalysen und Kommentare. Durch den Verzicht auf zeitintensive Produktions- und Verteilungsprozesse einer Papier-Zeitung gewinnt die Zeitung in Zukunft zwar Zeit, so dass der Zeitpunkt des Redaktionsschlusses mit dem des Erscheinens dichter zusammenrücken kann, aber das Besondere der Zeitung wird immer eben dieser Redaktionsschluss sein und die Tatsache, dass er für das ganze Paket gilt, der - wie effektiv auch immer die Produktion einer Online-Zeitung einmal sein wird - einen gewissen Abstand zum Erscheinen der Zeitungsausgabe haben wird, ein Zeitraum, der Abstand schafft zwischen Ereignis und Bericht.
Das Sägen am eigenen Ast
Betrachtet man die Richtung, in die sich die Online-Portale der Tages- und Wochenzeitungen entwickeln, stellt man allerdings fest, dass sie selbst durch die Auflösung des Redaktionsschlusses und die Verkürzung der Zeit zwischen Ereignis und Meldung den Zeitungscharakter ihrer Produkte verwässern. Dabei bleibt nicht nur der redaktionelle Qualitätsanspruch auf der Strecke, die Hoffnung der Leser, ein wohlgeordnetes, durchdachtes Paket von Nachrichten, Kommentaren, Analysen zum Tagesgeschehen zu erhalten, wird enttäuscht. Eine Zeitung ist mehr als eine effektive Zusammenstellung von Einzelartikeln, sie hat ein Design, das durch die Sicht der Redaktion als Institution geprägt wird.
Die Frage ist, ob das Jagen nach der letzten Nachricht, das Generieren von Eilmeldungen im Minutentakt, nicht das Sägen an dem Ast ist, auf dem die Zeitungen sitzen. Das eigentliche Produkt einer Zeitungsredaktion ist die Ausgabe, die regelmäßig erscheint. Regelmäßig heißt, dass der Erscheinungstermin einer Regel folgt, auf welche die Leser sich mit ihrem Lebensrhythmus einstellen können, und dass der Produktionsprozess selbst, der im Erscheinen der Ausgabe mündet, bestimmten Regeln unterworfen ist. Dadurch werden die Qualität und die Individualität jeder Zeitung sichergestellt. Und das macht ihren eigenständigen Wert überhaupt nur möglich.