BR-Serie „Hindafing“ : Wird Bayern jetzt cool?
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Was dem nicht alles um die Ohren fliegt: Alfons Zischl (Maximilian Brückner) wird auf rabiate Weise zu einer Unterschrift gedrängt. Bild: BR/Günther Reisp
Der Bayerische Rundfunk startet eine Heimatserie der anderen Art: In „Hindafing“ zeigt sich der Freistaat einmal nicht von der schönsten Seite. Hier erpresst jeder jeden und Drogen gibt es auch.
Heimat ist da, wo man sich nicht erklären muss“, philosophierte einst Herder und irrte. Heimat ist vielmehr der Ort, an dem man sich nicht erklären kann, ohne Kopf und Kragen zu riskieren. Wer wüsste das besser als Alfons Zischl, der Bürgermeister des fiktiven Kuhkaffs Hindafing? Vor ihm herrschte schon der selige Herr Papa im Rathaus. Nach dessen Ableben muss der Filius in der Gestalt von Maximilan Brückner allein die Fäden im Netz aus Lügen, Heimlichkeiten und Betrug ziehen, das über dem Dorf liegt. Bald ist Wahltag, der Landrat droht mit dem kommunalpolitischen Supergau – Einquartierung von Flüchtlingen –, und Zischl junior geht aufs Ganze: Will er allen gefallen, muss er allen alles versprechen, was er nicht halten kann. Immer länger geraten die Kokslinien des Ortsvorstands auf dem Schreibtisch Marke Eiche rustikal. Schon in Folge zwei von „Hindafing“ fliegt der ganze Laden in die Luft.
Das BR-Fernsehen traut sich etwas und bringt eine Heimatserie an den Start, die als bayerische Antwort auf „Breaking Bad“ daherkommt. Optisch cool mit entsättigten Farben inszeniert sie in schrägen Kameraeinstellungen die noch viel schrägere Mär von einem drogen- und gefallsüchtigen Politiker, der sich in immer irreren Windungen in eine kriminelle Abwärtsspirale bewegt, und das vor einer provinziellen Kulisse, in der Einrichtungsgegenstände aus den achtziger Jahren zu den neueren gehören. Hier wohnt ein Panoptikum von Westentaschenmafiosi, Landpomeranzen und abgründigen Einfaltspinseln – und alle, alle wollen sie etwas von Alfons Zischl.
Der als Biometzger getarnte Gammelfleisch-Importeur Goldhammer (Andreas Giebel) will den besten Platz in Zischls Prestigeprojekt, dem – nach den Windrädern – als Leuchtturm der Nachhaltigkeit verkauften Einkaufszentrum „Donauvillage“; der dauersaunierende Landrat (Jockel Tschiersch) will seine Flüchtlinge loswerden; der Drogenkocher Slomka (Wolfgang Maria Bauer) will sein Geld; der Gerichtsvollzieher Zischls Auto; die Kellnerin aus dem Vereinsheim einen Friseursalon im Shopping-Zentrum und einen Vaterschaftstest für ihren Sohn; Zischls Frau, eine unbegabte Malerin, fordert eine eigene Galerie, und seine demente Mutter verweigert das Seniorenheim. Für weitere Turbulenzen sorgen ein Konto in Panama, ein schwuler Pfarrer, ein überintegrierter türkischer Polizist, der seine Kinder in Dirndl und Lederhosen zum Kleintierzüchterverein schickt, eine Metzgersgattin, die wohl zu oft „Belle de Jour“ geschaut hat, der erste Fracking-Versuch vor der Haustür und schließlich Flüchtlinge, die mit unverfrorener Penetranz deutsche Ordnung in dem ganzen Durcheinander fordern. Wo kommen wir denn sonst hin?
Wer nun ein fulminantes Feuerwerk erwartet, das ein Klischee nach dem anderen in die Luft jagt und in satirischer Zuspitzung ein grelles Licht der Wahrheit auf die südwestdeutsche Provinz wirft, muss allerdings eine ganze Weile warten, bis „Hindafing“ zündet. Und selbst dann erweisen sich viele Gags doch eher als Knallfrösche. So viel die Autoren Niklas Hoffmann und Boris Kunz auch in ihr Drehbuch gepackt haben, den Dialogen fehlt immer wieder das richtige Timing, und der Regisseur Boris Kunz lässt es ausgesprochen ruhig angehen. Im Tempo eines extrem gemächlichen Walking Blues schlendert er in das sich anbahnende Durcheinander hinein. Ausgangspunkt ist die Beerdigung des verblichenen Zischl senior – die in sich schon all das vereint, was man an dieser Provinzposse der anderen Art bemängeln kann.
Ort des Trauerspiels ist eine kaum gefüllte Kirche, was in seltsamem Kontrast zu der Behauptung steht, hier sei ein Lokalmatador von uns gegangen, Ehrenmitglied in unzähligen Vereinen, von der örtlichen Zeitung auf einer ganzen Seite betrauert. Dieses Dorf zählt wohl nur ein Dutzend Seelen. Der Geistliche rudert hilflos am Altar herum – wer die Provinz aufs Korn nehmen will, muss schon genauer hinschauen. „Hindafing“ tut es, wenn es zu den Hasenzüchtern geht, in die Gemeinderatssitzung und auf den Bolzplatz.
Wenn die Geschichte ins Absurde kippt, wenn der Metzgerssohn sich mit dem Kärcher bewaffnet oder der Dealer zubeißt, verliert sich die Bräsigkeit. Maximilian Brückner spielt die Rolle des korrumpierbaren Gummicharakters mit Verve, aber zur durchschlagenden tragischen Komik fehlt dann doch eines: der nötige Ernst. So bleibt alles trotz punktueller Durchgedrehtheit im heiter harmlosen Bereich. Bastian Pastewka durfte im vergangenen Jahr für das ZDF in „Morgen hör ich auf“ als Geldfälscher schon einmal eine ähnliche Figur wie Zischl spielen; die Abgründe des Dorflebens malt TNT Serie in „Weinberg“ lustvoll aus. Jetzt also „Hindafing“. Da geht noch was.