https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/die-letzte-schlammschlacht-von-gawker-rufmord-an-jacob-appelbaum-14281552.html

Rufmord an Appelbaum : Die letzte Schlammschlacht von Gawker

  • -Aktualisiert am

Opfer einer Kampagne: Jacob Appelbaum Bild: dpa

Mit Lügen in die Insolvenz: Mit einem haltlosen Bericht über einen angeblichen sexuellen Übergriff in Hamburg zeigt der amerikanische Blogkonzern, was er kann – und warum er untergeht.

          4 Min.

          Es sah einfach zu gut aus. Auf der einen Seite steht scheinbar allein das Böse, der bekannte Netzaktivist Jacob Appelbaum, früher ein wichtiger Mitarbeiter des TOR-Verschlüsselungsdienstes, heute ein gejagter Mann, dem anonym im Internet durch eine Prangerseite sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen wird. Ein Star der Szene, der zum Paria geworden ist, nachdem er das TOR-Projekt letzte Woche verlassen hat. Auf der anderen Seite stehen die Guten: Wütende Feministinnen, die den Bösen als Vergewaltiger bezeichnen, eine Netzöffentlichkeit, die nach weiteren Details der Übergriffe verlangt, und drei Helden, die bereit sind, offen und mit Klarnamen zu berichten, wie sie Augenzeugen bei einem Übergriff von Appelbaum wurden.

          Außerdem soll sich das alles in der Öffentlichkeit zugetragen haben, beim renommierten Kongress des Chaos Computer Clubs im letzten Dezember, der seit längerem von Feministinnen wegen der Frauenfeindlichkeit in der Techszene kritisiert wird. Der Kongress, ein Jagdgrund für einen Frauenschänder, und andere Teilnehmer schauen einfach zu, bis drei Zeugen genug haben und dem Übeltäter seine sicher geglaubte Beute entreißen.

          Eine Opfergeschichte

          Das ist die Geschichte, die die Zeugen Meredith Patterson, Andrea Shepard und Emerson Tan dem Redakteur William Turton vom Internetmagazin Gizmodo erzählten. Sie berichteten mit vielen Details, vom verstörten Blick der Frau, von Appelbaums Benehmen, seiner unerwünschten Grabscherei und seinen Versuchen, sie für sich zu gewinnen, und von der Rettung des Opfers in Form einer Intervention. Gizmodo gehört zum Konzern Gawker, der jüngst einen Prozess gegen den Wrestler Hulk Hogan verlor, und nun gezwungen ist, ihm 140 Millionen Dollar wegen der Veröffentlichung eines Sexvideos und anderer Eingriffe in seine Privatsphäre zu zahlen.

          Gizmodo ist die 2002 gegründete Keimzelle des Medienkonzerns, der Skandalfreunde mit Gawker.com und Feministinnen mit Jezebel unterhält: Eine bunte Palette von Nischenpublikationen, alle laut, alle auf den Klickerfolg ausgerichtet. Gizmodo ist das Kronjuwel der Firma, und die Gelddruckmaschine im Konzern. Und nun hat Gizmodo drei Augenzeugen, die dabei waren, als sich eine Szenegröße an einer Frau vergreifen wollte. Der Redakteur versuchte nach eigenen Angaben, Appelbaum zu erreichen, aber der schwieg. Also veröffentlichte Gizmodo die Geschichte einseitig. Sie schlug ein wie eine Bombe, wurde weit verbreitet und von vielen anderen Publikationen übernommen.

          Ein Scoop. Mit einem Schönheitsfehler. Gizmodo hatte die Zeugen und den angeblichen Täter. Aber nicht das angebliche Opfer.

          Attacke aus dem Verborgenen

          Das angebliche Opfer heißt Jill Bähring und meldete sich bald zusammen mit dem Chaos Computer Club zu Wort. Die Geschichte, die einfach zu gut aussah, war zu gut, um wahr zu sein: Die angeblichen Zeugen hatten den Vorgang aus größerer Distanz beobachtet, und sich in ihrer  Voreingenommenheit gegenüber Appelbaum alles nur passend zusammengereimt.

          Jill Bähring war freiwillig bei Appelbaum. Sie sind gut befreundet und haben sich gut verstanden. Niemand ist eingeschritten, weil es keinen Grund zum Einschreiten gab. Sie hatte andere Sorgen und sah deshalb nicht glücklich aus. Es gab keine Grabscherei. Der einzige unerwünschte Übergriff geschah, als Bähring sich von Appelbaum verabschieden wollte und der Zeuge Emerson Tan dazwischen platzte, und sich dabei ganz anders verhielt, als er Gizmodo gegenüber behauptet hatte. Sie hätte Appelbaum an jenem Abend gern noch einmal gesehen.

          Weitere Themen

          Wie knüpft man an Erfolg von früher an?

          Peter Fox : Wie knüpft man an Erfolg von früher an?

          Peter Fox hat 15 Jahre nach „Stadtaffe“ endlich ein neues Soloalbum aufgenommen. Es geht um alte Posen und neuen Wahnsinn und klingt dabei sehr gut gelaunt.

          Justine Triet gewinnt die Goldene Palme

          Filmfestival Cannes : Justine Triet gewinnt die Goldene Palme

          Das Filmfestival in Cannes hat zum dritten Mal in seiner Geschichte eine Regisseurin mit der Goldenen Palme ausgezeichnet – Justine Triet erhielt den Hauptpreis der Jury für den Thriller „Anatomy of a Fall“.

          Topmeldungen

          Eine Unterstützerin von Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu am Samstag in Ankara.

          Stichwahl in der Türkei : Wie Kilicdaroglu doch noch gewinnen will

          An diesem Sonntag entscheidet sich die Zukunft der Türkei. Unter Erdogan würde das Land wohl endgültig zu einem Ein-Mann-Regime. Hat Oppositionskandidat Kilicdaroglu noch eine Chance? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

          Die Liebe zum Heimwerken : Brett im Kopf

          Wie die Eiche aus der Nachbarschaft zum Esstisch und die Langsamkeit zum großen Glück wird: Bekenntnisse eines Holzliebhabers.

          Newsletter

          Immer auf dem Laufenden Sie haben Post! Die wichtigsten Nachrichten direkt in Ihre Mailbox. Sie können bis zu 5 Newsletter gleichzeitig auswählen Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es erneut.
          Vielen Dank für Ihr Interesse an den F.A.Z.-Newslettern. Sie erhalten in wenigen Minuten eine E-Mail, um Ihre Newsletterbestellung zu bestätigen.