Chemnitz und Schweden : Was Demokratiefeinde stark macht
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Eine Wahlkampfveranstaltung der Schwedendemokraten in Motala Bild: dpa
Hassausbrüche gegen Gewaltverbrechen: Ein Kampf um Deutungshoheit ist im Gange, hinter dem die Wirklichkeit verschwindet. Will man den Rechten das Wasser abgraben, müssen Politik und Medien besser gewichten.
Morgens Radio eingeschaltet. Deutschlandfunk, dann HR Info. Dort ist vom „Rechtsruck“ die Rede, vor dem Schweden stehe. Am Sonntag wird gewählt, und die Schwedendemokraten haben beste Chancen, die zweitstärkste oder sogar stärkste Kraft zu werden. Eigentlich, heißt es beim HR, sei in Schweden „allt bra“, „alles gut“. Aber das könne sich am Sonntag ändern, wenn die Rechtspopulisten einen Wahlerfolg landeten. Dass in Schweden noch „allt bra“ und nichts faul im Staate ist, darauf lautet die Grundannahme der journalistischen Betrachtung.
Erst die Schwedendemokraten bedrohten dies. Die sind offenbar schon einen Schritt weiter als die AfD in Deutschland. Sie sagen, es sei eben nicht alles eitel Sonnenschein im Volksheim Schweden. Sie verweisen unter anderem auf einen Anstieg der Gewaltkriminalität, machen dafür den Flüchtlingszuzug verantwortlich und spielen mit dem generellen Ressentiment gegen Fremde. Sozialdemokraten und Grüne halten mit Verweisen auf die Statistik dagegen, die darlege, dass schwere Gewaltkriminalität nicht zugenommen habe und es in Schweden so sicher sei wie in Bullerbü. Die Bürger wiederum sehen etwas anderes: 61 Bezirke, welche die Polizei als gefährlich ausweist. 600 Schießereien mit 41 Toten und 135 Verletzten im Jahr 2017. Eine Serie von Vergewaltigungen und ein Bandenkrieg in Malmö, der mit tödlichen Schießereien auf der Straße und inzwischen mit Handgranaten ausgetragen wird, mit denen auch Polizeiwachen angegriffen werden. Mitte August brannten an mehr als zwanzig Orten achtzig Autos – die kriminelle Aktion verlief, wie die Polizei meint, mit militärischer Präzision und wurde über Absprachen im Internet vorbereitet. „Allt bra“?
Vom Einzelfall aufs Ganze schließen
Die Schwedendemokraten müssen, wie die AfD bei uns, gar nichts anderes tun, als diese Frage zu stellen. Aber sie tun natürlich mehr, indem sie vom Einzelfall auf das Ganze schließen, und mit dem Ganzen sind dann auch alle gemeint, die seit 2015 als Flüchtlinge ins Land gekommen sind. Erstaunlich ist, dass in Schweden wie bei uns nur wenige Politiker der demokratischen Parteien und Journalisten auf die Idee kommen, dass die Rechten zwar ein die Gesellschaft bedrohendes Phänomen an sich sind, ihr zunehmender Erfolg aber ein Symptom darstellt, das man nicht dadurch kuriert, dass man die Ursache nicht in den Blick nimmt: Formen der (organisierten) Gewaltkriminalität, die das Zusammenleben im öffentlichen Raum bedrohen und nicht nur für ein Gefühl der Unsicherheit sorgen. Erscheint der Staat an dieser Stelle schwach, werden die Feinde der Demokratie stark.
Sie werden umso stärker, je mehr sich die Demokraten in semantischen Blinde-Kuh-Spielchen ergehen. Bei den Ereignissen von Chemnitz war schnell von „Hetzjagden“ auf Ausländer, von „Menschenjagd“ und von Pogromstimmung die Rede, auch die Bundesregierung formulierte eilfertig. Die Tötung des 35 Jahre alten Chemnitzers, die, da die Polizei inzwischen einen dritten Täter sucht, nach gemeinschaftlich begangenem Mord aussieht, wurde, wenn überhaupt, nur unter „ferner liefen“ erwähnt. Der Präsident des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, äußert die Vermutung, dass es sich bei den Hinweisen auf „Hetzjagden“ um gezielte Falschinformationen handeln könnte. Die Linkspartei fordert seinen Rücktritt. Die AfD will, dass Regierungssprecher Steffen Seibert seinen Hut nimmt.
Es ist ein Kampf um Deutungshoheit im Gange, bei dem es um Zuschreibungen geht, hinter denen die Wirklichkeit verschwindet. Dabei waren die Hassausbrüche gegen Ausländer in Chemnitz so manifest, wie es das Gewaltverbrechen ist. Politik und Medien müssen beides gewichten, will man den Rechtspopulisten das Wasser abgraben – bei uns und auch in Schweden.