Literaturmagazin der CIA : Was liest der Geheimdienst?
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Der lesende CIA-Agent Turner (Robert Redford) in „Die drei Tage des Condor“ Bild: Picture-Alliance
Intellektuelle als Agenten – davon träumten Kino und Krimi schon immer. Im wahren Leben bringt die CIA ein Literaturmagazin heraus: „Studies in Intelligence“. Nicht alles darin ist öffentlich.
Schriftstellerinnen und Schriftsteller erzählen am liebsten über ihresgleichen. Weswegen der Anteil an schreibenden Figuren, Künstlern und Intellektuellen in der Literatur groß ist, größer jedenfalls als der von Straßenbahnfahrern, Chefärztinnen, Kunstturnern oder Finanzbeamten.
Und auch das Genre des Thrillers, egal ob im Kino oder als Buch, lebt von dieser Sehnsucht, sich einen Stellvertreter zu erfinden, der genauso schlau, aber viel mutiger ist: einen Agenten mit Weltschmerz, der kunstsinnige Diamantendiebe jagt. Einen konvertierten Kolonialpolizisten, der mit dem Leben nach dem Tod hadert. Eine Doppelagentin in Identitätskrise.
Intellektuelle und die Arbeit am Verbrechen, das Verbrechen als intellektuelles Wagnis: Das sind Lebensthemen der Kunst. Da ist der katholische Kolonialpolizist Scobie aus Graham Greenes „Herz der Dinge“. Oder die zerrissene Ruth Gilmartin in William Boyds genialem „Ruhelos“. Da ist, natürlich, James Bond: kein Bücherwurm, aber zumindest promoviert in den feinen Unterschieden. Genau wie Thomas Lieven, der Doppelagent in Simmels „Es muss nicht immer Kaviar sein“.
Das Literaturmagazin der CIA
Hitchcocks „Cocktail für eine Leiche“ fällt einem noch ein, wo zwei Studenten einen perfekten Mord begehen wollen – und natürlich der sexy Universitätsprofessor Indiana Jones, gespielt von Harrison Ford, erschaffen von Steven Spielberg, der einmal gesagt hat, dass er sich in seinen Filmen immer am stärksten mit jenen Intellektuellen identifiziert hat, die er in mörderische Abenteuer schickte: Harrison Ford als Indy, Richard Dreyfuss als Meeresbiologe im „Weißen Hai“. Überall also Geistesmenschen, die Verbrechen inszenieren oder Verschwörung, Mord oder Unheil mit Fremdwörtern, Buchwissen oder Noten abwenden wollen. Eine ganze Armada spezialbegabter, hochempfindlicher, angeknackster Typen auf Mission, die Welt zu retten.
Das ist die Wunschwelt der Abenteuergeschichten, Agententhriller und Krimis. In der wirklichen Wirklichkeit der Gegenwart bringt der amerikanische Geheimdienst CIA ein Literaturmagazin heraus. In dem es nicht nur um handfeste strategische Analysen geht oder die Geschichte der Geheimdienste, sondern auch um Spionageromane. Weil im Zweifel alles einen Ertrag bringt – und Licht in die Geheimnisse von Spionage und Gegenspionage, von Komplott und Strategie im Spiel der verfeindeten und befreundeten Mächte.
Manches bleibt verborgen
„Studies in Intelligence“ heißt das Magazin. Es erscheint vierteljährlich. Die Redaktion sitzt in Langley, es schreiben ehemalige und aktive Geheimdienstleute genau wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Chefredakteur, Andres Vaart, hat in der amerikanischen Navy gedient. Wer wissen will, was die CIA gerne liest, kann sich die Hefte auf einer Website herunterladen. Nicht alle, nicht bis ins Gründungsjahr 1955 zurück, aber immerhin bis 1992.
Jedenfalls kann man jenen Teil gebührenfrei lesen, der an die Öffentlichkeit gelangen darf. Der andere ist „classified“, wie es im Geheimdienstjargon heißt. Lesen darf diesen Teil nur, wer die Befugnis hat, Staatsgeheimnisse zu kennen. Und wie groß dieser Teil ist, wissen auch nur die, die ihn kennen.
Das löst natürlich beim Laien ohne security clearance einen besonderen Kitzel aus, wenn man durch die aktuelle Ausgabe blättert (es handelt sich um Vol. 62, No. 1 vom März 2018). Weil man sich die ganze Zeit über fragt, was um das herum, was man lesen darf, wohl noch auf jenen Seiten behandelt wird, die man nicht sehen darf.
Von Chiffriermaschinen und U-Booten
Auf dem Cover der aktuellen Ausgabe ist ein sowjetisches U-Boot der Klasse Victor III abgebildet, das Foto stammt aus den Beständen der amerikanischen Navy und weist auf einen historischen Abriss des „Office of Strategic Research“ im Heft hin, eine Einheit der CIA, die im Juli 1967 gegründet wurde und sich dem sowjetischen und chinesischen Militär widmete. Wer denkt da nicht an Tom Clancys „Jagd auf Roter Oktober“ und Jack Ryan?
„Studies in Intelligence“ erforscht also die Geschichte des eigenen Hauses, aber auch die von Diensten befreundeter und feindlicher Mächte. Im März-Heft geht es dann auch um den britischen Militärgeheimdienst und seine Rolle beim Zusammenbruch des Osmanischen Reichs am Ende des Ersten Weltkriegs; um die Wiederbewaffnung der deutschen Luftwaffe in der Zwischenkriegszeit; dann wieder um die Verhörpraxis der Briten im Zweiten Weltkrieg.
Aber man findet eben auch die Kritik eines aktuellen Bestsellers, den man bei jedem amerikanischen Buchhändler finden würde: „Code Girls“ von Liza Mundy, so etwas wie Robert Harris’ Roman „Enigma“ über die britischen Wissenschaftler, die im Zweiten Weltkrieg die Chiffriermaschine der Deutschen knackten, nur eben als Sachbuch und auf Amerikanisch: Die Autorin erzählt darin von den Frauen im amerikanischen Nachrichtendienst, die japanische und deutsche Funksprüche entschlüsselten, siebzig Prozent der ganzen Einheit waren weiblich, aber nur wenige Mitarbeiterinnen durften nach dem Krieg im Dienst bleiben.
Die „dreckigen Tricks“
Stoff für einen Film, natürlich. Man sieht ihn sofort vor sich. Genauso, wie man sich das „Center for the Studies of Intelligence“ der CIA und seine Redaktion sofort als Filmstoff vorstellen könnte. Hollywood hat das natürlich längst, vor mehr als vierzig Jahren: „Die drei Tage des Condor“ heißt der Film, gedreht hat ihn der große Sydney Pollack mit einem seiner Lieblingsschauspieler in der Hauptrolle: Robert Redford spielt darin den CIA-Mitarbeiter Joseph Turner, Deckname „Condor“, der in New York unter der Tarnadresse einer „American Literary Historical Society“ für den amerikanischen Geheimdienst Bücher und Romane auswertet. Auf der Suche, wie Turner einmal sagt, nach den „dreckigen Tricks“, von denen die Agenten, draußen im Einsatz, lernen können.
Turner hat also keinen Kugelschreiber mit nuklearer Tinte oder einen Sportwagen, der Russisch kann: Er liest. Und zwar Romane. Legt sie in einen Computer, der irren Krach macht, um Seite für Seite zu erfassen; er schreibt Analysen und Interpretationen, studies in intelligence, und schickt sie an die Zentrale in Langley. Bis eines Morgens, Turner holt gerade Sandwiches für alle, seine Einheit ausgelöscht wird. Alle sieben Kolleginnen und Kollegen werden erschossen, im Auftrag eines finsteren Chefs in der Zentrale von Langley – weil Turner beim Lesen eines Krimis tatsächlich auf einen dreckigen Trick gestoßen ist. Nur hat sich den jemand bei der CIA ausgedacht.
Alles für das Öl
Was genau der Kriminalroman, der Turner auf die Spur bringt, nun mit dem Komplott der CIA zu tun hat, wird nie so richtig klar: Man muss dem Film einfach glauben, dass der Feind im Inneren sitzt. „Die drei Tage des Condor“ zählt zum „New Hollywood“ der siebziger Jahre, jener Ära nach Watergate und Nixon, in der Verschwörungstheorien und Paranoia auch das amerikanische Kino prägten. (Redford, der „Die drei Tage des Condor“ gemeinsam mit Pollack produziert hatte, drehte gleich danach mit Dustin Hoffman „All the President’s Men“, den Watergate-Film über Woodward und Bernstein, die beiden Reporter von der „Washington Post“, die Nixon stürzten.) Der Krimi, so viel erfährt man dann doch, ist in eine so eigenartige Auswahl von Sprachen übersetzt worden – Türkisch, nicht Französisch, Arabisch, aber nicht Russisch oder Deutsch –, dass Turner stutzig wird. Und mehr wissen will. Ist das Buch ein Kassiber?
Also bittet Turner die Zentrale in Langley, dafür wird er ja bezahlt, in den Berichten der Agenten in Konfliktregionen zu schauen, ob es Parallelen gibt. Gibt es nicht, schreibt Langley an Turner zurück – am Morgen jenes Tages, an dem noch vor dem Lunch sieben Mitglieder der „American Literary Historical Society“ sterben müssen. Es geht um Öl im Nahen Osten und Venezuela, es geht um den Erhalt des amerikanischen Lebensstandards um jeden Preis. Der aufrechte Turner gibt alles, was er weiß, an die „New York Times“ weiter – ob er das überlebt, ob er mit Kathy (Faye Dunaway), die er auf seiner Flucht vor den CIA-Killern kidnappt und die ihm dann hilft, eine Zukunft erleben wird, erfährt man nicht mehr. Der Film endet: im Zweifel.
Mehr als ein Beruf
Sherman Kent, so hieß der Geschichtsprofessor aus Yale, der „Studies in Intelligence“ 1955 gründete: „Der Nachrichtendienst ist heute nicht mehr nur ein Beruf, sondern hat sich, wie jeder Beruf, zu einer Disziplin entwickelt“, schrieb er in der ersten Ausgabe des Magazins. „Er hat eine erkennbare Methodologie ausgebildet, ein Vokabular, eine Theorie und eine Doktrin, er wendet ausgefeilte Techniken an und hat eine große professionelle Gemeinde. Was ihm fehlt, ist eine Literatur.“ Und diese Literatur bringt „Studies in Intelligence“ in Umlauf. Und wie alle Forschungsliteratur, ein Blick ins aktuelle Heft reicht da, ist sie genauso detailversessen wie unspektakulär und dann wieder mitreißend interessant – mit dem Unterschied, dass es hier nicht um Insektenforschung, sondern Doppelagentinnen geht, um Lawrence von Arabien, der Homer übersetzte, um Codebreaker und Bürokraten, die Kriege auslösen oder verhindern.
„Wir lesen alles, was auf der Welt veröffentlicht wird“, sagt Turner alias Condor in Pollacks großem Film einmal. „Wir lieben den ,Lonely Planet‘“, hat kürzlich eine Bibliothekarin des „Center for the Studies of Intelligence“ dem „New Yorker“ gesagt, als der einen Reporter in die Redaktion des Magazins schicken durfte. (Eine Kontaktaufnahme aus Berlin blieb leider ohne Antwort.) Fünfhundert Abonnenten hat das Heft, hat der erfahren – und dass der bisher meistgelesene Artikel sich 2007 der Rolle der CIA bei der Erforschung von Ufos widmete. Ergebnis: Es gibt keine. Aber vielleicht ist das auch nur der Teil des Hefts gewesen, der nicht classified war.